Capitularia - Edition of the Frankish Capitularies

Manuscript of the Month November 2018: New Haven, The Beinecke Library, MS 413

Sorry, this entry is only available in German.

Ein Meisterwerk aus Reims, Tours oder sogar Sens?

Nahezu alle Kapitularienhandschriften sind gewöhnliche Gebrauchshandschriften aus mäßigem Pergament und ohne großen Pomp. Hingegen verbirgt sich hinter der Signatur der Yale University, The Beinecke Rare Book and Manuscript Library, MS 413 aus New Haven eine wahre Augenweide. Auf feinem Pergament, von dem ursprünglich verschwenderisch viele Seiten frei geblieben waren, die aber später freilich für Nachträge genutzt wurden, finden sich sehr große und prachtvolle Initialen mit Flecht- und Blattornamentik in Rot, Grün und Gold. Wegen ihrer für eine Kapitulariensammlung ungewöhnlich aufwendigen Ausstattung sprachen Schramm und Mütherich (1962 [²1981], S. 135 f., Nr. 55) bereits von einer „Luxusausgabe“.


Abb. New Haven, Beinecke Library, MS 413, fol. 55r (© Beinecke Digital Collections)

Die Handschrift enthält hauptsächlich die Collectio capitularium des Ansegis (foll. 2v–66v). Sechs Kapitularien Karls des Kahlen nehmen das letzte Drittel (foll. 66v–102r) ein; in chronologischer Reihenfolge sind das: das Capitulare missorum Suessionense und das Capitulare missorum Silvacense (beide a. 853), das Capitulare Carisiacense (a. 857), die Capitula Pistensia (a. 862), das Edictum Pistense (a. 864) sowie abschließend das Capitulare Carisiacense (a. 873). Die Mehrheit der Forschung geht von einer Entstehung der Handschrift nach 873 aus. Nur vereinzelt haben Wissenschaftler eine frühere Zusammenstellung mit späteren Nachträgen erwogen (vgl. Devisse 1962, S. 69; Sotheby’s Catalogue 24. Juni 1969, S. 21 f.; Nelson 1983, S. 205 f. Anm. 18). Dieser These scheint entgegenzukommen, dass der paläographische Befund dieser Sammlung uneindeutig ist. Der erste Teil des Kodex (foll. 3r–42v) ist von mehr als einer Hand im Touroner Stil geschrieben, der zweite (foll. 43r–102r) von einer Hand, die einem gewissen Ingobertus ähnlich ist (vgl. Bischoff 2004, S. 311 Nr. 3585).

Ingobertus nennt sich der Schreiber, der die Bibel von San Paolo fuori le Mura in Rom schrieb. Er wird gewöhnlich mit der Schule von Reims in Verbindung gebracht. Bischoff vertrat in den 1960er Jahren noch die These, dass Ingobertus mit dem Schreiber der Kapitulariensammlung identisch gewesen wäre, nahm aber Ende der 1980er hiervon wieder Abstand (vgl. erstmals bei Schramm/Mütherich 1962 [²1981], S. 136, Nr. 55; Widerruf erstmals bei Nees 1988, S. 40b, Anm. 20; dann schließlich persönlich: Bischoff 1993, S. 178b Anm. 7).

Der Schreiberwechsel der New Haven Handschrift kann nicht als eine mögliche Zäsur für eine spätere Ergänzung in Betracht kommen, da er inmitten des Ansegis-Textes zu finden ist. Für einen Nachtrag kämen die letzten beiden Kapitularien Karls des Kahlen in Frage, weil sie jeweils auf einer neuen Lage beginnen. In diesem Fall hätte also derselbe Schreiber die entsprechenden Stücke später, ggf. auch nach Jahren nachgetragen. Gegen diese These stehen jedoch zwei Beobachtungen: Erstens sind der Stil der Rubriken (Capitalis rustica und Halbunziale) sowie der der Initialornamentik in beiden Teilen identisch; und zweitens korrigierte die erste Hand den Text des zweiten Teils (vgl. die Marginalien auf den foll. 57r, 67v, 69v, 94v, 98v, vgl. Millar 1927, S. 52; Rand 1929, S. 176). Eine spätere Ergänzung des einen oder anderen Kapitulars erscheint folglich wenig wahrscheinlich.

Da die jüngste Quelle des Kodex im Jahr 873 entstand, datierte die ältere Forschung das Gesamtwerk noch auf das vierte Viertel des neunten Jahrhunderts. Mittlerweile geht man aber von einer Entstehung der Handschrift noch zu Lebzeiten Karls des Kahlen († 6. Okt. 877) aus, weil sein Name auf fol. 83r besonders schön hervorgehoben wird. Die Buchmaler könnten also ihre Arbeit in den Jahren zwischen 873–877 abgeschlossen haben, oder kurz gesagt um 875.


Abb. New Haven, Beinecke Library, MS 413, fol. 83r (© Beinecke Digital Collections)

Kann die Datierung als relativ gesichert angesehen werden, so herrscht in der Frage nach dem Produktionsort nicht dasselbe Maß an Konsens. Zwar befürworten die meisten Forscher heute Reims als Ursprungsort der Handschrift, doch wurden in der Forschungsgeschichte auch andere Regionen vorgeschlagen. Ausgehend von dem paläographischen Befund nahmen Millar und Rand an, die Handschrift komme aus Tours. Ihrer Meinung nach sei auch die Initialornamentik ein Produkt der Touroner Schule (Millar 1927, S. 50; Rand 1929, S. 175 f.; später wieder McKitterick 1977, S. 32). Hingegen beruhte die Annahme, Soissons sei die Geburtsstadt des Buches, auf einem Missverständnis: Ein nachgetragener Hymnus auf die Heiligen Gervasius und Protasius (fol. 2r, ed. Millar 1927, S. 51) verweist lediglich auf den späteren Verbleib des Kodex, nicht auf seinen Ursprung (vgl. Sotheby’s Catalogue 24. Juni 1969, S. 21 f.; Marston 1970, S. 112; McKitterick 1980, S. 41). Ein weiterer Vorschlag zur Verortung des Manuskripts, Compiègne, kam von McKitterick, doch liegen hierfür keine Indizien oder Belege vor (1980, S. 41). Vorsichtiger formulierten Hartmann (zuletzt 1998, S. 92) mit Nordostfrankreich und Bischoff, der die Handschrift in einem Hofskriptorium für Karl den Kahlen entstanden sah (2004, S. 311 Nr. 3585). Christ war der erste, der die Tours-These zurückwies und stattdessen für Reims plädierte (Christ 1937, S. 314 f. Nr. 16 u. Anm. 3). Spätere Vergleichsstudien mit Werken der Reimser Schule scheinen diese These zu bestätigen (vgl. Koehler 1972, S. 145 f.; Mütherich 1993, S. 221b–222b; 1996, S. 114a).

Die Lokalisation in Reims verführte Schramm und Mütherich (1962 [²1981], S. 135 f., Nr. 55) zu der Annahme, Hinkmar hätte die Handschrift Karl dem Kahlen als Geschenk überreicht. Die Forschung hat diese Hypothese aber aus Mangel an Beweisen zurückgewiesen. Mordek zweifelte, „ob man es sich nicht doch zu einfach macht, Handschriften und Sammlungen schlicht der führenden Persönlichkeit seiner Zeit und Region zuzuschreiben?“ (1986a, S. 38 Anm. 68 v. S. 37). Einig scheint man sich jedoch zu sein, dass der Kodex aufgrund seiner besonderen Ausstattung für den König bestimmt war, oder zumindest für seinen Hof (Mordek 1995, S. 387; Schmitz G 1996, S. 109; Koehler/Mütherich 1999, S. 175–179). Marston (1970, S. 111) zog hingegen in Betracht, das Buch sei für einen hohen Hofbeamten angefertigt, möglicherweise „for the reference of Charles the Bald’s court when he was in residence at Soissons“ (Marston 1970, S. 112 f. Marston ging noch von Soissons als Ursprungsort aus).

Doch Reims als Produktionsort ist nur aus dem Befund der Paläographie und dem kunsthistorischen Vergleich der Initialornamentik mit der Schule von Reims gefolgert. Wer dieser These folgt, blendet aus, dass Tours mindestens gleichberechtigt als Herkunftsregion neben Reims in Frage kommt. Es gibt zwar keine Vergleichstudien über den Buchschmuck mit der Schule aus Tours, aber immerhin scheint die Touroner Hand der Spiritus Rector der Arbeit gewesen zu sein, da sie den Reimser Schreiber korrigierte. Möchte man nicht gleich von einer mehr oder weniger gewollten Stilkopie in der Ornamentik ausgehen – man denke nur einmal daran, wie schwer es ist, einen original Banksy von seinen Nachahmern zu unterscheiden! –, dann sollte man aber zumindest eine gewisse Beliebtheit bestimmter Formen und Motive in den damaligen Dezennien einkalkulieren, eben die Mode der Zeit. Ein Hinweis hierfür ist, dass die Reimser Hand zwar eine Nähe zur Bibel von San Paolo aufweist, aber laut Bischoff (1993, S. 178a–b) diese in ihrer Qualität nicht an die anderen Reimser Manuskripte heranreicht. Und schließlich war es Mordek (1986a, S. 38 Anm. 68 v. S. 37), der darauf hinwies, dass eine Verwandtschaft mit Reimser Schriften nicht automatisch Reimser Entstehung (oder gar Hinkmar’sche Urheberschaft) bedeuten müsse. In dem Fall New Haven 413 erscheint es sogar zwingend, dass mindestens eine der beiden Haupthände mobil gewesen sein muss. Und alles scheint darauf zu deuten, dass es eben die Reimser Hand gewesen ist, wenn sie auch in Metz nach 883 tätig war, worauf Gaehde nach einer Bischoff’schen Expertise hingewiesen hat (Gaehde 1966, S. 15b Anm 30). Möchte man nicht gerade annehmen, dass beide Schreiber auf der Walz gewesen seien, verschiebt sich nun das Perpendikel eher nach Tours als Heimat der Buchwerkstatt.

Allerdings hatte Nelson (1983, S. 205 f. Anm. 18) noch ein textliches Argument für Reims ins Feld geführt: Das Kapitular Karls des Kahlen aus Quierzy 857 ist in dem diesmonatigen Liber laureatus in der Ausfertigung für Bischof Hunfrid von Thérouanne und den Grafen Ingiscalc und Berengar überliefert. Thérouanne war als Suffraganbistum dem Metropoliten von Reims unterstellt. Nelson folgerte also, dass Reims für die Vervielfältigung und Verteilung des Kapitulars innerhalb der Provinz zuständig gewesen sei. Ein Exemplar der Ternois-Ausfertigung sei ins Reimser Archiv gelangt und in den 860ern aufgefunden und benutzt worden (Nelson ging noch von Ingobert als Schreiber aus, vgl. 1983, S. 205 f. Anm. 18). Diese Darstellung klänge schlüssig, wenn in derselben Handschrift, auf derselben Seite (fol. 72r), am Schluss des vorangehenden Kapitulars nicht ein weiterer Name zu lesen wäre: Wenilo von Sens († 865).

Das Kapitular von Servais (Aisne) aus dem Jahr 853 enthält an dessen Ende eine Liste von Missi in zwölf Abschnitten, die die Missatica grob nach Kirchenprovinzen ordnet. Die Version der Handschrift aus New Haven kennt aber nur die Nummer zehn dieser Liste mit den Namen Wenilo von Sens und den beiden Missi Graf Odo von Melun und Graf Donatus von Troyes (vgl. Mordek 1995, S. 388). Alle übrigen Namen und Missatica fehlen hier, auch die Nummer eins der Liste mit Hinkmar von Reims an der Spitze fehlt. Warum sollte sich also ein vermeintlicher Schreiber in Reims einen solchen Lapsus leisten? Warum sollte er andernorts nur einen Suffragan seiner Provinz anbringen, wenn er hier die Möglichkeit besaß, seinen Metropoliten zu nennen? Und hinzu kommt, dass Hunfrid in der Adresse des folgenden Kapitulars zwar geschrieben steht, dass er aber in Thérouanne sitzt, erfährt der Leser des Buches nicht. Diese Information entstammt der modernen Forschung.


Abb. New Haven, Beinecke Library, MS 413, fol. 72r: Namen der Missi und Adresse im folgenden Kapitular (© Beinecke Digital Collections, Hervorhebungen durch d. Verf.)

Kann die Erwähnung des einstigen Metropoliten von Sens folglich als ein subtiler Hinweis verstanden werden, wer in den 870er Jahren als Nachfolger des Wenilo das Werk in Auftrag gegeben hat? In Frage käme nur Ansegis von Sens, der die Kathedra im Jahr 871 bestieg und bereits 883 verstarb. Er war ein enger Vertrauter Karls des Kahlen und stieg nach dessen Kaiserkrönung 875 zum Apostolischen Vikar von Gallien und Germanien auf. Die westfränkischen Bischöfe haben diesen Status jedoch nie akzeptiert, allen voran Hinkmar, der in der Folgezeit scharf dagegen anschrieb. Kaiserkrönung, Bestellung zum Vikar und die Entstehungszeit des Kodex stehen in einem engen Konnex. Ansegis also, der eine Sammlung von Kapitularien seines Namensvetters seinem König und neuen Kaiser überreichte? Ein derartiges Szenario erscheint zumindest möglich.

Um Hinweise auf die Heimatregion der Handschrift zu gewinnen, lohnt es sich, noch die Textgeschichte zu reflektieren. Drei der sechs Kapitularien Karls des Kahlen hat Hartmann bereits im Rahmen der Concilia-Editionen der MGH kollationiert: Soissons 853, Quierzy 857 und Pîtres 862 (Hartmann W 1984, Nr. 27 S. 264–289, Nr. 38 S. 389–398; 1998, Nr. 10 S. 96–122). Wie bereits angesprochen, gehört der Kodex New Haven in Bezug auf das Kapitular Quierzy 857 in die Gruppe der Handschriften, die die Ausfertigung an Bischof Hunfrid von Thérouanne enthalten. Die erhaltenen Handschriften dieses Kapitulars mit einer allgemeinen Adresse gehen alle auf eine Sammlung aus Beauvais zurück. Eine letzte Abschrift ist an Bischof Ionas von Autun und den Grafen Isembert von Autun adressiert. Die Schwesterhandschriften von New Haven 413, Paris, Bibliothèque Nationale, Lat. 9654 (10./11. Jh., Lotharingien [wohl Metz]) und Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. Lat. 582 (10. Jh., 1. Hälfte, Nordostfrankreich [nahe Reims?] oder 9. Jh., Mainz), weisen eher in den lotharingischen Raum ihrer Entstehung. Allerdings hat Mordek die Vorlage dieser beiden Handschriften mit Sens in Verbindung gebracht und schlug für die Sammlung den Namen Collectio Senonica vor. Sie ist dort wahrscheinlich nach 864 kompiliert worden (Mordek 1995, S. 563; 2000b, S. 44–46). Ein Senser Ahnherr des Handschriftenensembles harmoniert nun aber hervorragend mit der Vermutung, Ansegis von Sens habe den Kodex New Haven in Auftrag gegeben.

Für das Kapitular von Pîtres 862 gilt im Wesentlichen der gleiche Befund wie für das Kapitular von Quierzy 857, wobei eine Reimser Überlieferung für Pîtres zu fehlen scheint. Hingegen zerfällt die erhaltene Texttradition des Kapitulars von Soissons 853 in zwei Gruppen: eine Reimser und eine gemischte Gruppe, die neben der Handschrift aus New Haven wieder die Handschriften aus dem lotharingischen Raum enthält, ebenfalls wieder die Kodizes, die auf die Sammlung aus Beauvais zurückgehen, und schließlich eine Handschrift aus Ripoll. In der Summe scheint also Reims als Bezugsort der Vorlage für die Kapitularien Karls des Kahlen ausgeschlossen zu sein. Der benutze Kodex dürfte eher aus dem lotharingischen Raum oder sogar aus Sens selbst stammen.

Schmitz hat im Zuge seiner kritischen Edition der Kapitulariensammlung des Ansegis von Fontenelle den Kodex New Haven allein Reims zugeschrieben. Gleichzeitig hat er den Umstand völlig übergangen, dass ca. zwei Drittel des Ansegis-Textes in Touroner Minuskel geschrieben wurden (vgl. Schmitz G 1996, S. 109). Das erstaunt um so mehr, weil seine akribischen Kollationen eine große Nähe zu zwei sehr alten Handschriften aus Tours ergaben: Paris, Bibliothèque Nationale, Lat. 4636 (Mitte 9. Jh., Tours) und Paris, Bibliothèque Nationale, Lat. 18237 (2. Viertel 9. Jh., Frankreich, Nähe Tours?). Die engste Verwandtschaft hat der Kodex New Haven mit einer Abschrift des 15. Jahrhunderts, die heute im Vatikan liegt: Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Reg. Lat. 1036 (Herkunft unbek.) Dieses Handschriften-Quartett ordnet Schmitz der Klasse C2 zu (vgl. Schmitz G 1996, S. 109 f.) Sie hat keine Gemeinsamkeiten mit der Reimser Klasse D, deren Handschriften nach Schmitz eine spezifische Redaktion enthält, die sich um einen vollständigen, ja ergänzten und kommentierten Text bemühte und die erarbeitet wurde, um eine Öffentlichkeitswirkung zu erzielen. Schmitz spricht der Klasse D einen geradezu offiziellen Rang zu, da Hinkmar diese Version benutzte und durch ihn auch Karl der Kahle (Schmitz G 1996, S. 279). Es muss also verwundern, dass eine vermeintliche Reimser Arbeit nicht den besseren und offizielleren Text zur Vorlage wählte.

Aber der Redaktor des Textes aus New Haven scheint sich unter Umgehung von Reims eine besonders alte Vorlage besorgt zu haben, die er zunächst auch gründlich korrigierte. Er hat zudem teilweise alternative Lesarten in seinen Text übernommen, anhand derer Schmitz ein heute verlorenes Korrekturexemplar ausmachen konnte. Diese zweite Ansegis-Vorlage verortet Schmitz durch einen weiteren Textvergleich im burgundisch-lothringischem Raum des Mittelreiches. Eine Verbreitung im west- oder ostfränkischem Raum konnte er hingegen nicht feststellen (Schmitz G 1996, S. 263–265, 239). Dieser Befund passt aber hervorragend zu dem Ergebnis, dass die Zusätze am Schluss der Ansegissammlung in New Haven 413 Gemeinsamkeiten mit lothringischen Handschriften aufweisen. Auffällig ist auch hier, dass der Redaktor bei seiner Vorlagensuche Reims zu meiden schien. Der Grund hierfür muss offen bleiben, aber die Rivalität zwischen Hinkmar von Reims und Ansegis von Sens wäre ein mögliches Motiv.

Als Fazit kann festgehalten werden, dass Reims als Ursprungsort von allen drei Alternativen – Reims, Tours und Sens – am unwahrscheinlichsten wirkt, und m. E. auch ausscheiden kann. Es spricht einiges dafür, dass der Redaktor in Tours gearbeitet hat oder zumindest aus Tours seine Hauptvorlage an einen unbekannten Ort mitbrachte. Eine zweite Vorlage zur Korrektur seines Textes besorgte er sich sehr wahrscheinlich aus Lotharingien oder Sens. Bei seiner Arbeit erhielt er Unterstützung von Kollegen aus Tours sowie von einem fahrenden Schreiber, der in Reims sein Handwerk gelernt hatte. Einige Indizien weisen auf die Hypothese hin, dass Ansegis von Sens das Meisterwerk in Auftrag gab und Karl dem Kahlen zur Kaiserkrönung überreichte.

Semih Heinen


Zur Handschriftenseite (Beschreibung nach Mordek und Transkription)


Literatur:

Bischoff, B., La Scrittura, in: Commentario storico paleografico artistico critico della Bibbia di San Paolo fuori le Mura (Codex membranaceus saeculi IX), Rom 1993, S. 177–186.
Bischoff 2004, S. 311 Nr. 3585.
Catalogue of Thirty-Eight Illuminated Manuscripts. The Chester Beatty Western Manuscripts: Part II. Day of Sale: Tuesday, 24 June 1969, Sotheby & Co, London 1969, Nr. 40, S. 20–23.
Christ 1937, S. 314 f. Nr. 16 u. Anm. 3.
Devisse 1962, S. 64–70.
Gaehde, J. E., The Bible of San Paolo fuori le mura in Rome: its date and its relation to Charles the Bald, in: Gesta 5 (1966), S. 9–21, hier S. 15 Anm. 30.
Hartmann W 1984, S. 258 f., 262 u. 383.
Hartmann W 1998, S. 92.
Koehler, W., Buchmalerei des frühen Mittelalters. Fragmente und Entwürfe aus dem Nachlaß, hg. von E. Kitzinger u. F. Mütherich (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München 5), München 1972, S. 145–147.
Koehler, W. (†) u. F. Mütherich, Die karolingischen Miniaturen, 6. Die Schule von Reims. Teil 2. Von der Mitte bis zum Ende des 9. Jahrhunderts, Berlin 1999, S. 175–179, Tafeln 159–161.
Marston, T. E., A Legal Manuscript of the Ninth Century, in: The Yale University Library Gazette 44 (1970), S. 111–113.
McKitterick 1977, S. 32.
McKitterick 1980, S. 41.
Millar, Eric George, The Library of A. Chester Beatty. A Descriptive Catalogue of the Western Manuscripts 1, Oxford 1927, Nr. 11, S. 50–52 und Tafeln XXVIII–XXX.
Mordek 1986a, S. 38 Anm. 68 v. S. 37.
Mordek 1995, S. 386–391.
Mordek 2000b, S. 44–46.
Mütherich, F., Origine e Ambito, in: Commentario storico paleografico artistico critico della Bibbia di San Paolo fuori le Mura (Codex membranaceus saeculi IX), Rom 1993, S. 221–234.
Mütherich, F., Carolingian Manuscript Illumination in Rheims, in: The Utrecht Psalter in Medieval Art. Katalog der Ausstellung Utrecht 1996, Amsterdam 1996, S. 104–119, bes. S. 107, 114; wieder in: dies., Studies in Carolingian Manuscript Illumination, London 2004, S. 302–340.
Nees, L., Unknown Carolingian Drawings of Hercules from the Scriptorium of Reims, and the Cathedra Petri Ivories, in: The Journal of the Walters Art Gallery 46 (1988), S. 37–54.
Nelson 1986, [zuerst 1983, S. 202–227].
Rand 1929, Nr. 153, S. 175 f.
Schmitz G 1996, S. 109 f. und 239, 263–265, 279.
Schramm, P. E. u. F. Mütherich, Denkmale der deutschen Könige und Kaiser. Ein Beitrag zur Herrschergeschichte von Karl dem Großen bis Friedrich II. 768–1250 (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München 2), München ²1981, S. 135 f., 481 (Nr. 55), [zuerst 1962].

How to cite
Semih Heinen, Manuscript of the Month November 2018: New Haven, The Beinecke Library, MS 413, in: Capitularia. Edition of the Frankish Capitularies, ed. by Karl Ubl and collaborators, Cologne 2014 ff. URL: https://capitularia.uni-koeln.de/en/blog/handschrift-des-monats-november-2018-newhaven-bl-413/ (accessed on 03/28/2024)