Ein Vögelchen hat gezwitschert…
Die Zahl der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlicher, die Twitter als sinnvolles Kommunikations- und Informationsmedium gebrauchen, steigt stetig an, und selbst eine immer größer werdende Gemeinschaft von (Frühmittelalter-)Historikern (#medievaltwitter #twitterstorians) gehört ebenfalls dazu.
Unter diesen, die sich hier vor allem über Handschriften, neue Publikationen oder Veranstaltungen austauschen, verbreitete sich Anfang Juni eine Nachricht wie ein Lauffeuer: Ein bisher unbekanntes Fragment der Admonitio generalis Karls des Großen (a. 789, BK 22) ist vom Britischen Auktionshaus „Dreweatts & Bloomsbury Auctions“ zur Versteigerung am 6. Juli annonciert worden. Der geschätzte Verkaufswert liegt bei 10.000 bis 15.000 Pfund (umgerechnet ca. 11.300 bis 17.000 Euro).
Leaf from Charlemagne’s Admonitio Generalis, 789; Low Countries/Germany, s. VIIIe/IXi – to be auctioned 6 July – https://t.co/pzFhzsq7Ws pic.twitter.com/iyxnJLP1CM
— Ed van der Vlist (@EdvanderVlist) 7. Juni 2017
Zwar bietet der Beschreibungstext auf der Webseite des Auktionshauses (Link, abgerufen am 22.06.2017) nicht allzu detaillierte Informationen, doch soll aus aktuellem Anlass das Fragment an dieser Stelle trotzdem kurz vorgestellt werden.
Hinsichtlich seiner Provenienzgeschichte ist lediglich bekannt, dass es aus dem Einband einer 1489 in Antwerpen gedruckten Inkunabel herausgelöst wurde. Wie von Michael Glatthaar, der die Admonitio zusammen mit Hubert Mordek und Klaus Zechiel-Eckes 2013 herausgegeben hat, bestätigt wurde, kann das Folium keiner der heute bekannten Handschriften bzw. keinem Handschriftenfragment zugeordnet werden.
Das 215 x 140 mm große Pergamentblatt, welches in einer frühen karolingischen Minuskel beschrieben ist, wurde augenscheinlich am oberen und äußeren Rand beschnitten, wodurch auch die ersten Buchstaben der Marginalie clericus fehlen (vgl. Tabelle unten, c. 75). Es sind 22 Zeilen verblieben, deren Linierung noch deutlich zu erkennen ist. Die einfach gehaltenen Initialen in der Versalienspalte sind zum Teil flächig ausgefüllt und vereinzelt mit spitz zulaufenden Strichen an den Serifen verziert.
Der Text des Fragments auf der abgebildeten Folioseite entspricht cc. 74-76 in der Edition (Glatthaar 2013a, S. 228, Z. 350-361; vgl. Tabelle unten). Auf der nicht abgebildeten Vorderseite müssten sich die vorhergehenden cc. 71-73(74) befinden.
Fragment | Edition | Übersetzung | |
c. 74 | cum manus inpositione et signaculo ; | sanctę crucis super capita uirorum | dare necnon et uelare uirgines | cum benedictione sacerdotali | quod omnino uobis sanctissimi patres | in uestris parrochiis intercendum | esse scitoto ; | Episcopis, abbatibus. Auditum est aliquas abbatissas contra morem sanctae dei ecclesiae benedictiones cum manus inpositione et signaculo sanctae crucis super capita virorum dare necnon et velare virgines cum benedictione sacerdotali. Quod omnino vobis, sanctissimi patres, in vestris parrochiis interdicendum esse scitote. | Den Bischöfen und Äbten. Es kam zu Gehör, dass manche Äbtissinen gegen die Gepflogenheit der heiligen Kirche Gottes Segen spenden mit Handauflegen und dem Zeichen des heiligen Kreuzes über den Häuptern von Männern, sowie Jungfrauen den Schleier geben mit sacerdotalem Segen. Wisset, heiligste Väter, dass ihr dies in euren Sprengeln gänzlich untersagen sollt. |
c. 75 | [Cle]ricus Vt illi clerici qui se figunt habitu uel | nomine monachos esse et non sunt | omnimodis uidetur corrigendos | adque emaendandos esse ut uel ueri | monachi sint uel ueri canonichi sint ; | Clericis. Ut illi clerici, qui se fingunt habitu vel nomine monachos esse et non sunt, omnimodis videtur corrigendos atque emendandos esse, ut vel veri monachi sint vel veri canonici. | Den Klerikern. Dass jene Kleriker, die dem Auftreten und Namen nach vorgeben, Mönche zu sein, und es nicht sind, auf jede Weise zurechtgewiesen und gebessert werden sollen, auf dass sie entweder wahre Mönche seien oder wahre Kleriker. |
c. 76 | Item et pseudographia | et dubiae narrationes uel que om|nino contra fidem catholicam sunt | ut epistula pessima et falsissima | quam trans[[s]]acto anno dicebant illi | qui errantes et in errorem alios | mittentes quod de cęlo cęcidisset | nec credantur nec legantur sed con|burentur nec in errorem per talia | scripta populus mittatur sed soli | | Omnibus. Item et pseudografia et dubiae narrationes vel quae omnino contra fidem catholicam sunt ut epistula pessima et falsissima, quam transacto anno dicebant aliqui errantes et in errorem alios mittentes, quod de celo cecidisset, nec credantur nec legantur, sed conburentur, ne in errorem per talia scripta populus mittatur. Sed soli canonici libri et catholici tractatus et sanctorum auctorum dicta legantur et tradantur. | Allen. Ebenso sollen unechte Schriften und zweifelhafte Erzählungen – oder die überhaupt dem katholischen Glauben zuwiderlaufen wie der äußerst üble und falsche Brief, von dem einige, die irrten und andere in die Irre führten, vergangenes Jahr behaupteten, er sei vom Himmel gefallen – weder geglaubt noch gelesen, sondern verbrannt werden, damit das Volk durch solche Schriften nicht in die Irre geführt werde. Stattdessen sind einzig die kanonischen Bücher und katholischen Abhandlungen und Aussagen heiliger Autoren zu lesen und zu vermitteln. |
In der Wiederholung von sint in c. 75 geht das Fragment mit dem Text, den die Handschriften W1T (Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, 496a Helmst. [Fulda, 8./9. Jh.] und Trier, Stadtbibliothek, 1202/501 [wohl Mittelrhein, Anfang 9. Jh.]) bieten, zusammen. Die Variante illi qui errantes bei c. 76 ist im Apparat der Edition nicht nachgewiesen.
Entgegen der Auktionsbeschreibung, in welcher (basierend vor allem auf der Auffindungssituation) eine Entstehung des Fragments in den Niederlanden vorgeschlagen wird, deutet nach Glatthaar die Schrift (mit den mehrfach verwendeten ri-Ligaturen) eventuell eher zum deutschen Raum hin. Derlei Überlegungen bedürfen aber dringend einer vollständigen Analyse des Objekts, wobei die Herkunft der Inkunabel hier sicher nicht als Indiz für die Provenienz des Blattes gelten kann.
Dass ein bisher nicht bekanntes Fragment eines so berühmten Textes wie der Admonitio generalis auf den Markt gelangt, besitzt wohl einen gewissen Seltenheitswert. Bis heute verbleiben viele derartige Handschriftenschätze in Privatbesitz und sind somit nicht wissenschaftlich erschlossen oder zum Teil gänzlich unentdeckt. Unter den im Korpus des Editionsprojektes genannten Handschriften galt dies auch lange für ein ehemals Düsseldorfer Pergamentblatt (olim Privatbesitz Alex Bender, Fragment o. Nr.), welches nach Mordek Teile eines Kapitulars (Capitulare legibus seu legi Ribuariae addendum = Mordek 18) und eines Memorandums (Capitula adhuc conferenda = Mordek 19) singulär überliefert. Das Objekt befindet sich heute unter der Signatur MS 808 in der Beinecke Rare Book and Manuscript Library in New Haven.
Es bleibt zu hoffen, dass das hier besprochene Stück in der kommenden Auktion von einer Forschungseinrichtung erworben und somit der Wissenschaft zur Verfügung gestellt werden kann. Über derlei Neuigkeiten werden wir an dieser Stelle natürlich informieren…
D. Schulz, Bergische Universität Wuppertal
Referenzen:
Auktionsankündigung von „Dreweatts & Bloomsbury Auctions“ (abgerufen am 22.06.2017)
Glatthaar 2013a, S. 89-92, 228
Mordek 1995 S. 123-124