Capitularia - Edition der fränkischen Herrschererlasse

Aus dem Maschinenraum #1: Vernetzung als Mehrwert. Capitularia zwischen DELM, NFDI und Akademie

Die Blogreihe „Aus dem Maschinenraum“ widmet sich den technischen Aspekten und Herausforderungen der „Edition der fränkischen Herrschererlasse”. Anders als unsere bisherigen wissenschaftlichen Beiträge zu Funden und editorischen Erkenntnissen, fokussieren wir uns hier auf die infrastrukturellen, methodischen und technologischen Dimensionen eines digitalen Langzeitprojekts. Seit 2014 erarbeiten wir eine Neuedition der Kapitularien. Als Hybridedition konzipiert, stellt uns das Projekt vor besondere Herausforderungen: Wie gewährleisten wir die langfristige Verfügbarkeit unserer Forschungsdaten? Wie können wir nachträglich Maßnahmen zur Umsetzung der FAIR-Prinzipien in einen Arbeitsplan integrieren, der vor deren Etablierung konzipiert wurde? Wie vernetzen wir uns sinnvoll mit anderen Projekten und Infrastrukturen? Oder welche Rolle könnte KI im Projekt spielen? In kleineren Beiträgen beleuchten wir diese Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven: vom Forschungsdatenmanagement über Vernetzungsstrategien bis hin zur technischen Infrastruktur und dem Einsatz neuer Technologien. Dabei teilen wir nicht nur Ideen und Lösungsansätze, sondern auch offene Fragen und Desiderata.

Einleitung

Digitale Editionsprojekte arbeiten nicht im luftleeren Raum. Die Vernetzung mit anderen Projekten, Datenbanken und Infrastrukturen ist zunehmend zentral – nicht nur für eigene Sichtbarkeit, sondern auch für die Funktionalität und Nachnutzbarkeit der Forschungsdaten. Für Capitularia stellt sich dabei eine grundsätzliche Frage: Welche Vernetzungsaktivitäten sind sinnvoll, und wie lässt sich der Aufwand rechtfertigen?

Das DELM-Netzwerk: Internationale Vernetzung frühmittelalterlicher Handschriftendatenbanken

Das internationale Netzwerk „Databases of Early Latin Manuscripts” (DELM) ist ein Zusammenschluss von Datenbanken und Editionsprojekten mit Bezug zu frühmittelalterlichen Handschriften. Capitularia ist, wie auch die “kleine Schwester” Bibliotheca legum, von Beginn an aktives Mitglied dieses Netzwerks. Das Netzwerk, das von Immo Warntjes (Trinity College Dublin) und Pádraic Moran (University of Galway) 2023/2024 initialisiert wurde, bietet eine Plattform für den Austausch zwischen den beteiligten Projekten und Forschenden, die sich gegenseitig über Entwicklungen und Arbeitsstände informieren und (in thematischen Arbeitsgruppen) gemeinsam an Lösungen für Probleme (z.B. einheitliche Datierungsangaben) arbeiten.

Im Kontext von DELM wurde von Pádraig Moran auch ein Lookup- bzw. „See also”-Service entwickelt, der mit simplen Mitteln Informationen zu Handschriften über verschiedene Ressourcen miteinander vernetzt. Der Service ermöglicht es, Handschriften zu suchen und korrespondierende Einträge in Capitularia, der Bibliotheca und in anderen DELM-Datenbanken zu finden. Aktuell (Stand 10/2025) sind Daten aus den folgenden neun Datenbanken bzw. Projekten eingespielt und weitere werden sicher folgen:

Dies verhilft Forschenden zu einem schnellen Überblick, in welchen Projekten eine bestimmte Handschrift erwähnt wird, sodass relevante Informationsquellen zentral an einem Ort versammelt sind. Gemeinsame Grundlage dieser Verlinkungen von Service zu den einzelnen Einträgen in den Projekten sind die Nummern aus Bernhard Bischoffs Katalog der festländischen Handschriften sowie E. A. Lowes Codices Latini Antiquiores. Die Einigung auf diese Grundlage kommt nicht ohne gewisse Schwierigkeiten, da es sich bei den Nummern nicht um Normdaten im eigentlichen Sinne handelt und z.B. Bischoff zusammengehörige Handschriften zuweilen unter einer Nummer führt, Komposithandschriften mehrere Nummern haben können, was zu n:n-Beziehungen führt, die sich nicht eindeutig auflösen lassen. Die Erweiterung des Service, z.B. um Referenzen zum Handschriftenportal und ähnlich gelagerten nationalen Projekten ist aber durchaus geplant. Alle Daten und Tools des DELM-Netzwerks sind auf GitHub dokumentiert und nachnutzbar.

Screenshot des DELM-Lookup Service

Die Beteiligung an DELM schafft Mehrwerte auf verschiedenen Ebenen bzw. für mehrere Seiten: Nutzenden wird ein zentraler Einstieg zu eigentlich verteilt liegenden Informationsquellen geboten, womit auch komparative Forschung unterstützt wird; für das Projekt erhöht sich die Sichtbarkeit in der internationalen Forschungscommunity; Zusammenarbeit wird befördert und ermöglicht gemeinsame Problemlösungen.

Die Aufwände sind dagegen vergleichsweise gering: die Entwicklung des Lookup-Services und dessen Pflege erfolgt durch die Kollegen in Irland. Die Aufbereitung unserer Daten für das Einspielen in den Lookup-Service gestaltete sich recht einfach, da die benötigten Informationen bereits in unserer Kodierung enthalten waren und somit durch ein einfaches Skripting in das vorgegebene Format, eine bewusst einfach strukturierte CSV-Datei transformiert werden konnten, die lediglich die Spalten Catalogue Code (bkat für den Katalog von Bischoff und cla), Reference Number (die entsprechende Nummerierung) sowie URL, also den Link zur betreffenden Handschrift in der eigenen Datenbank, enthält. Sofern nicht – z.B. aufgrund von Neufunden – weitere Handschriftenbeschreibungen hinzugefügt werden oder sich die Links aus irgendwelchen Gründen ändern sollte, ist eine Aktualisierung der Ursprungdaten nicht notwendig.

Die Frequenz der Netzwerktreffen ist eher gering, sodass hier keine größeren zeitlichen Aufwände entstehen. Auch ist das Netzwerk seit seiner Gründung kontinuierlich angewachsen, was dazu führt, dass Präsentationen zum eigenen Arbeitsstand zugunsten der inhaltlichen Breite eher kurz ausfallen und immer freiwillig sind. In den Arbeitsgruppen werden die Arbeiten bestmöglich modularisiert und strukturiert. Da es sich dabei um Themen und Herausforderungen handelt, mit denen sich die Projekte eh befassen (müssen), verringert der gemeinsame Austausch eher die sonst individuell anfallenden Arbeitsaufwände. Ein weiterer Mehrwert kann mitunter auch darin liegen, dass – je nach Kontext – das Auftreten als internationales Netzwerk einen größeren Impact hat, als ein einzelnes Projekt.

Text+ und die NFDI: Strukturelle Einbindung in die nationale Forschungsdateninfrastruktur

Durch das CCeH als technischem Partner des Projektes und aktuell zusätzlich durch eine Matrixstelle, ist Capitularia eng mit dem NFDI-Konsortium Text+ verbunden. Diese institutionelle Vernetzung bietet einen direkteren Zugang zu einem breit gefächerten Angebot an Ressourcen und vor allem Expertise. Text+ bietet, wie auch andere NFDI-Konsortien, Weiterbildung und Beratung zu FDM aber auch weiteren Themenkomplexen, technischen Services und Diensten. Diese Angebote stehen der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung. Unsere Teilhabe als ein “Datenbeitrag” und Projekt, welches – aufgrund der personellen Verschränkungen – eher zum inneren Kreis gehört, ist jedoch unmittelbarer und umfasst die Präsentation des Projektes z.B. im Rahmen von Veranstaltungen wie den NFDI-Lokalforen oder in den Publikations- und Disseminationsplattformen des Konsortiums (z.B. in der Blogreihe “Ressourcen-Reigen“).

Umgekehrt leisten wir mit unseren im Projekt gesammelten Erfahrungen auch Beiträge zu Empfehlungen oder nutzen unsere Expertise bei der Beratung anderer, ähnlich gelagerter Projekte. Diese “kollegiale” Hilfe beschränkt sich natürlich nicht auf den Kontext von Text+, sondern findet auch außerhalb statt. Die Teilnahme an Angeboten (sowohl aktiv als auch passiv) erfordert natürlich personelle bzw. zeitliche Ressourcen. Diese Investition zahlt sich jedoch durch den Wissenstransfer und die strukturelle Unterstützung, die sich daraus ergibt, aus. Gerade in dem sehr dynamischen Feld der digitalen Editorik erscheint es wichtig, “auf dem Laufenden” zu bleiben, was aktuelle Entwicklungen angeht und sich regelmäßig weiterzubilden. Nur so kann das eigene digital-editorische Handeln angemessen reflektiert werden. Auch dies spricht für eine aktive Teilhabe an (immer noch) aktuellen Diskursen zu Themen wie Standardisierung, Datenqualität oder Interoperabilität. Der Austausch darüber hilft zum einen, für sich und sein eigenes Projekte informierte Entscheidungen zu treffen, zum anderen aber auch die Entwicklung von best practices mitzuprägen.

Akademienprogramm: Vernetzung auf institutioneller Ebene

Als Teil des Akademienprogramms ist Capitularia in eine Struktur eingebunden, die Langzeitvorhaben über Jahrzehnte hinweg fördert. Diese institutionelle Vernetzung bietet eine vergleichsweise große Planbarkeit und Verlässlichkeit durch langfristige Förderstrukturen. Diesen steht jedoch eine Problematik gegenüber, die insbesondere für Langzeitprojekte gilt: zukünftige Entwicklungen, seien es technische oder auch förderpolitische, sind immer nur bedingt vorauszuahnen, was die Projektplanung ab ovo bzw. alle Entscheidungen für die Zukunft erschwert. Die Akademien sind sich diesen Problemen und ihrer (Mit)Verantwortung durchaus bewusst und versuchen, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Auch sie sind mehrheitlich aktiv in den NFDI-Konsortien engagiert. Mit dem eigenen Forschungsinformationssystem AGATE bemüht man sich, alle im Akademienprogramm geförderten Projekte (sowohl abgeschlossene als auch aktuelle) nach gängigen Standards zu beschreiben und die aggregierten Metadaten über Schnittstellen für andere nutzbar zu machen. Das Portal ist auch darauf vorbereitet, “Forschungsressourcen” (= Projektergebnisse i.S.v. Daten) strukturiert zu verzeichnen.

Insbesondere die AG eHumanities (unter der Federführung der AWK NRW) im Akademienprogramm bemüht sich, durch regelmäßige Angebote und Veranstaltungen (z.B. aktuell einem Workshop zum Thema “Daten-Perspektiven“), den Erfahrungsaustausch zwischen Akademieprojekten zu befördern. Und auch aus den mediävistischen Akademieprojekten selbst werden vielfach Initiativen ergriffen, um sich besser miteinander zu vernetzen, um so die Herausforderungen, vor denen Langzeitprojekte stehen, gemeinsam anzugehen. Dieser Austausch finden meist eher informell statt, aber auch im Rahmen von gemeinsamen Veranstaltungen und betrifft z.B. auch die Aufbereitung und Bereitstellung von Daten, z.B. unseren Transkriptionen für die Nutzung als Trainingsmaterial für LLMs oder der Informationsanreicherung.

Fazit:

Auch, wenn sich die Auswirkungen der Vernetzungsaktivitäten nur sehr bedingt messen lassen und diese natürlich mit Aufwänden verbunden sind, so sind wir davon überzeugt, dass sich unser dahingehendes Engagement auszahlt (z.B. durch erhöhte Sichtbarkeit). Wieviel Zeit und personelle Ressourcen investiert werden sollten, ist natürlich im Einzelfall abzuwägen. Bei zukünftigen Projektanträgen könnte es sinnvoll sein, nicht nur die (zeitlichen und finanziellen) Aufwände für Weiterbildung und Konferenzteilnahmen, sondern auch jene für Vernetzungsaktivitäten vorab möglichst realistisch zu kalkulieren und in den Arbeitsplänen zu berücksichtigen, da diese Aufwände nicht unterschätzt werden sollten.

Daniela Schulz

November 2025

Referenzen und Links:

B. Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts, 3 vols (Wiesbaden, 1998–2014)
E. A. Lowe, Codices Latini Antiquiores, 12 vols (Oxford, 1934–1971)
DELM Network: Databases of Early Latin Manuscripts. https://delm-net.github.io/
GitHub DELM ms-lookup: https://github.com/DELM-net/ms-lookup
Text+ Datendomäne Editionen: https://text-plus.org/ueber-uns/arbeitsbereiche/editionen/

Empfohlene Zitierweise
Daniela Schulz, Aus dem Maschinenraum #1: Vernetzung als Mehrwert. Capitularia zwischen DELM, NFDI und Akademie, in: Capitularia. Edition der fränkischen Herrschererlasse, bearb. von Karl Ubl und Mitarb., Köln 2014 ff. URL: https://capitularia.uni-koeln.de/blog/aus-dem-maschinenraum-vernetzung/ (abgerufen am 05.12.2025)