Sankt Petersburg, Rossijskaja Nacional’naja Biblioteka, Q. v. II. 11
Manuscript description according to Mordek
Repository
Sankt PetersburgRossijskaja Nacional'naja Biblioteka
Q. v. II. 11
Origin and history
Origin:
9. Jh., 1. bis 2. Viertel (Mordek, Bischoff); Frankreich (Mordek), Nordfrankreich (Bischoff)
Provenance:
H. C. du Cambout de Coislin, Bischof von Metz (Vol. 780 im Katalog der Coislinschen Bestände des Pariser Klosters Saint-Germain-des-Prés bei B. de Montfaucon, Bibliotheca bibliothecarum manuscriptorum nova 2 [Paris 1739] S. 1078; wohl aus der Bibliothek von Coislins Großvater Séguier); Saint-Germain-des-Prés (Nr. 1384 auf Papierblatt Iv und im Verlustinventar bei Delisle, Le cabinet des manuscrits 2, S. 56); 1792 im Besitz des russischen Botschaftssekretärs in Paris Peter Dubrowskij; 1805 vom russischen Staat erworben (foll. lr und 40r: Ex Musaeo Petri Dubrowsky).
Physical description
Material: | Pergament |
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Number: | 40 foll., typische Gebrauchshs. im Taschenbuchformat |
Size: | ca. 190-194 × 132 mm |
Body text: | ca. 155-165 × 100-107 mm |
Quires: |
(der Textverlust läßt auf zwei fehlende Quaternionen zu
Beginn des Codex schließen) + 4 IV32 + (II-2)34 + 135 + II39 + 140 (Blattverlust nach
fol. 40)
|
Condition: | Die Hs. ist besonders vorn und hinten durch Wassereinwirkung beschädigt, der Text daher z. T. unleserlich. |
Lines: | 19-21 |
Columns: | 1 |
Script: | karolingische Minuskel |
Decoration: |
Rubriken in roter Unziale (stark verblichen), einfache Initialen in brauner Texttinte. |
Binding: |
heller Ledereinband |
Contents
Note:
Trotz ihres fragmentarischen Charakters verdient die alte St. Petersburger
Hs. unsere volle Aufmerksamkeit. Hat sie doch neben der bruchstückhaften Lex
Salica und einigen oft und, wie damit bewiesen, schon früh mit ihr
verbundenen Kapitularien Kaiser Karls des Großen ein nur hier bezeugtes
Kapitularienkapitel bewahrt.
Zur Verwandtschaft des Werkes mit den
umfangreicheren Sammlungen des Cod. Cologny Bodmer 107, des Cod. Nürnberg Cent. V, App. 96 und der Codd. Vatikan Reg. Lat.
1036 und Reg. Lat. 1728, siehe jeweils am
Ort. Aus ihnen läßt sich mutmaßen, was einst am Ende der St. Petersburger
Hs. gestanden haben könnte, wenigstens wohl noch das allen gemeinsame
Capitulare missorum in Theodonis villa datum.
Schon Hubé, S. XXI,
vertrat die Meinung, das handliche Bändchen sei für den praktischen Gebrauch
bestimmt gewesen.
Montfaucon 2, S. 1068, erwähnt unter der Nr. 46 eine noch zu ermittelnde Hs. mit Kapitularienauszügen, die gleichfalls über Coislin nach Saint-Germain-des-Prés kam: "Excerpta e capitularibus Regum Francorum quibus apparet Ecclesiasticos debere mittere ad exercitum suos homines bene armatos, & terras quae dabantur Ecclesiis tributo & censui esse obnoxias. Plusieurs extraits, lettres & traités, qui prouvent que les Ecclesiastiques doivent fournir des aides & subsides au Roi". Offenbar waren die Kapitularienexzerpte hier in traktatförmige Ausführungen eingearbeitet.
Bibliography
References:
- R. Hubé, La loi Salique, d'après un manuscrit de la Bibliothèque centrale de Varsovie. Précédée d'une préface et d'une notice sur un manuscrit de la lex emendata de la Bibliothèque Impériale de Saint-Pétersbourg (Warschau 1867), S. XIX-XXI
- B. Dudík, Historische Forschungen in der kaiserlichen öffentlichen Bibliothek zu St. Petersburg, in: SB Wien 95 (1879), S. 361 Nr. 108
- K. Gillert, Lateinische Handschriften in St. Petersburg, in: NA 5 (1880), S. 614-616 (dort wohl irrtümlich die Signatur O. II. 11, die noch bei Bühler, Capitularia Relecta, S. 395 Anm. 27 genannt wird)
- Boretius 1897, S. XXVI
- G. M. Danilova, O spiskach i redakcijach «Saliceskoj pravdy» u opisanie rukopisi «Leninopolitanus», in: Ucenye zapiski 68 (1948), S. 104-107
- Eckhardt K 1954, Pactus legis Salicae I 1, S. 38
- McKitterick 1989, S. 46, 55 Tab. A (ähnlich wie Gillert und Bühler: O. v. II. 11)
Catalogues:
- A. Staerk, Les manuscrits latins du Ve au XIIIe siècle conservés à la Bibliothèque Impériale des Saint-Pétersbourg 1 (Saint-Pétersbourg 1910), S. 41
Images:
- Staerk, Les manuscrits latins 2, Abb. XL (fol. 33v)
Project-specific references:
- Mordek 1995, S. 702-705
- Bischoff 2004, S. 86, Nr. 2331
- Bibliotheca legum regni Francorum manuscripta, Karl Ubl (Hrsg.) unter der Mitarbeit von Dominik Trump und Daniela Schulz, Köln 2012 ff. To the "Collection of the Month" blogpost
Transcription
Editorial Preface to the Transcription
Transkriptionsvorlage: Am Original kollationiert und nachher mit dem Digitalisat, teils farbig (fol. 34r), teils schwerz-weiß (foll. 34v-40v) verglichen.
Schreiber
Der Kapitularienteil wurde von drei Schreibern (A, B, C, hier nicht mit den Siglen für die Hände der gesamten Handschrift zu verwechseln) in einer frühen karolingischen Minuskel kopiert. Die Kapitularienhand A schreibt fol. 34r-v und 35v-36r in einer ziemlich disziplinierten, frühen karolingischen Minuskel, von der Hand stammt vermutlich auch die einzige Überschrift des Kapitularienteiles in einer Mischung von Unzial- und Minuskelformen (fol. 34r zu BK 39). Die Kapitularienhand B setzt auf fol. 35r ein und schreibt danach fol. 36v-40r. Von der Partie der Kapitularienhand C ist nur eine Seite (fol. 40v) erhalten, die darüber hinaus an mehreren Stellen verblasst ist. Von diesen drei Händen des Kapitularienteils ist die Hand B in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen schreibt sie ein sehr ungeregeltes Latein, in dem unter anderen frühkarolingischen orthographischen Gepflogenheiten wie -ci statt -ti, o statt u (und umgekehrt) etc. auch grob falsche Kasusendungen (z. B. ingenuitates statt ingenuitatis), sinnstörende Irrtümer (z. B. erum statt eorum) und unglückliche Verwechslungen von den Ligaturen rt und st beim Abschreiben (castam statt cartam) nicht selten vorkommen. Zum anderen weist ihre Schrift manche graphischen Merkmale auf, die mit der Schrift des Reimser Skriptoriums im ersten Drittel des 9. Jh. übereinstimmen, z. B. die Form von x mit dem langen, in der Endung nach rechts gekurvten Haarstrich, die auffällige und sehr seltene Ligatur sp (sponsam, fol. 39r), die in der Reimser Gedichtsammlung Vatikan, BAV, Reg. lat. 2078, fol. 70r (splendet) einmal vorkommt, oder in der Form von g mit beiden etwa gleichmäßigen, nicht breit geschriebenen Bögen. Die Lokalisierung der Hand B im Reimser Umfeld des ersten Drittels des 9. Jh. macht auch die Lokalisierung der Hände A und C in der Gegend von Reims wahrscheinlich. Sie schreiben allerdings in einem anderen, ausgewogeneren und disziplinierteren Schriftstil, der auch in anderen frühkarolingischen Reimser Handschriften vorkommt. Die Hand C des Kapitularienteiles ist vermutlich mit der zweiten Hand der Lex Salica Karolina (fol. 25r-33v) identisch und legt dadurch nahe, dass beide Teile der Handschrift in einem nicht besonders großen zeitlichen Abstand zu datieren sind. Der paläographische Befund mit der Lokalisierung der Handschrift im Reimser Umfeld stimmt mit der jüngeren Hypothese von Ch. West überein, dass die Handschrift mit dem Reimser Einflussbereich verbunden ist (West C 2009, S. 197).
Buchstabenformen
Während die Hände A und C des Kapitularienteiles standardmäßige Ligaturen verwenden, kennzeichnet sich die Hand B durch die selteneren Ligaturen sp und uT.
Gliederungsmerkmale
Der Kapitularienteil wird durch eine rote Überschrift des BK 39 in Unziale eingeleitet, im Weiteren aber sind weder eine Kapitelzählung noch Kapitelüberschriften vorhanden. Eine Orientierung für den Beginn jedes Kapitels bieten dabei in der Partie der Hand A die in gewöhnlicher Tintenfarbe ausgeführten größeren Initialen, deren Bögen durch zwei Linien mit dem leeren Raum dazwischen ausgeführt wurden. Als Satzinitiale wurden gelegentlich die einfacheren vergrößerten Majuskelbuchstaben oder Minuskelligaturen verwendet. Sonstiger Schmuck fehlt dem Kapitularienteil völlig. Hand B zeigt diesen Unterschied nur einmal in der Abschrift der Recapitulatio solidorum, fol. 38r, Z. 12, in der erhaltenen Partie der Hand C sind Initialen sehr schlecht erhalten. Die größere Initiale E erscheint z. B. in der Mitte des Kapitels 2 von BK 39, Kapitel 9 und 11 beginnen jeweils mit einer einfacher ausgeführten Satzinitiale O und ebenso wie das Capitulum de libra et inpunda, Mordek, Anhang 1 Nr. 9, mit einem einfachen Majuskelbuchstaben U. Einige Kapitel wurden umgestellt: So findet sich die Regelung für den Totschlag eines Mönches nicht am Ende des ersten Kapitels von BK 39, sondern vorne, nach der Regelung zum Totschlag an einem Diakon und vor den Bußen für den Totschlag eines Priesters und eines Bischofs. Die Kapitel 3, 4 und 5 von BK 40 wurden nach Kapitel 6 verschoben und Kapitel 23-24 nach Kapitel 28.
Benutzungsspuren
Im Kapitularienteil gibt es so gut wie keine mittelalterliche Nachträge oder Randbemerkungen. Auf fol. 40r und 40v finden sich ein moderner Besitzvermerk "Ex Museo Petri Dubrowsky" und der Vermerk eines St. Petersburger Bibliothekars Iwan Bytschkow. In der Handschrift ist ein lose eingelegtes Papierzettelchen erhalten mit der Notiz des 17.-18. Jh. "Des Antiquités et Recherches de la chapelle et oratoire du Roy de France".
Sonstiges
Der Handschrift fehlten bereits im 18. Jh. die ersten zwei Lagen, als sie in Montfaucons Bibliotheca bibliothecarum beschrieben wurde, so dass die Beschädigungen des Kapitularienteils vermutlich auf die noch früheren Zeiten zurückgehen. Außerdem ist nach fol. 34v der Schluss von c. 2 sowie vollständig c. 3, 4, 5 und der Anfang von c. 6 von BK 39 zu einem unbekannten Zeitpunkt einem Blattverlust zum Opfer gefallen. Der Schluss der Handschrift nach fol. 40v enthielt eine unbekannte Anzahl von weiteren, heute verlorenen Blättern; fol. 40v mit dem Anfang von BK 67 ist verblaßt und z. T. unlesbar. In der oberen linken Ecke von fol. 40v findet sich ein Stempel der Öffentlichen Kaiserlichen Bibliothek zu St. Petersburg.