Capitularia - Edition der fränkischen Herrschererlasse

Handschrift des Monats Mai 2022: Barcelona, Biblioteca de Catalunya, 945

Ein Neufund in einer Handschrift aus Barcelona

Dass kanonistische Sammlungen nicht nur genuin kirchenrechtliches Material in sich aufnehmen, sondern auch weltliches Recht rezipieren, ist hinlänglich bekannt. Kapitularien gehören dabei auch zu den rezipierten Texten, wie z.B. die Studie von Valeska Koal gezeigt hat, in der verschiedene kirchenrechtliche Sammlungen des frühen Mittelalters und ihre Kapitularienrezeption untersucht werden (Koal 2001). Da viele kirchenrechtliche Sammlungen und Handschriften bis heute nur unzureichend untersucht, geschweige denn ediert sind, ist es nicht verwunderlich, dass auch immer wieder Kapitularientexte in kanonistischen Handschriften neu aufgefunden werden.

Auf solch einen Neufund hat uns Steffen Patzold aufmerksam gemacht: In der Handschrift Barcelona, Biblioteca de Catalunya, 945 befindet sich auf fol. 135v c. 10 des Capitulare ecclesiasticum von 818/819 (BK 138), das die Grundausstattung von Kirchen thematisiert. Der Codex stammt aus dem 9./10. Jahrhundert und tradiert die weit verbreitete Collectio Dionysio-Hadriana (Kéry 1999 S. 13–20, dort wird der Codex fälschlich ins 12. Jahrhundert datiert). Als Nachträge ganz am Ende des Codex befinden sich das besagte Kapitularienexzerpt und davorstehend ein kirchenrechtlicher Text, der sich mit dem Eintritt ins Kloster beschäftigt. Beide Nachtragskapitel weisen weder eine Zählung noch eine Überschrift auf, die Hinweise auf die benutzten Vorlagen geben könnten. Die Kapitel stammen zudem von dem Schreiber, der auch die Folioseiten davor beschrieb, dürften also zeitgleich oder sehr zeitnah mit der Collectio entstanden sein. BK 138 c. 10 ist generell in vielfältiger Weise rezipiert worden (Schmitz G 1996 S. 484 Anm. 361f.) und wurde von Ludwig dem Frommen sogar mehrfach bestätigt, so z.B. im Capitulare Wormatiense c. 4 (BK 191).

Abb.: BK 138 c. 10 (©Biblioteca de Catalunya)

Vergleicht man das Kapitel in der Barcelona-Handschrift mit der restlichen Überlieferung des Kapitulars, so fallen einige wenige Varianten auf: Zu Beginn heißt es in Barcelona „Statutum est“, was sich sonst nur in den Handschriften Montpellier H 136 und Paris Lat. 4280A findet. Bei der Wortfolge „ortis iuxta ecclesia positis neque perscripto manso“ teilt Barcelona Varianten mit der Handschrift Kopenhagen 1943. Auch dort heißt es „ortis iuxta eclesia positis neque perscripto manso“. Vergleicht man dies mit dem Editionstext von Boretius und Krause sowie den anderen Textzeugen, so fehlt nur bei Barcelona und Kopenhagen das „de“ nach „neque“ und man liest nur in diesen beiden Handschriften „perscripto“ statt korrekt „praescripto“. Eine unbedeutendere Übereinstimmung liegt darin, dass es in den beiden genannten Codices „iuxta ec(c)lesia“ statt „iuxta ecclesiam“ heißt. Singuläre Varianten bietet Barcelona dahingehend, dass nur sie „fiat“ statt „faciant“ hat, wobei es aber sehr wahrscheinlich ist, dass das Wort aus „faciat“ korrigiert wurde. Des Weiteren gibt es eine Transposition, da es „amplius aliquid“ statt „aliquid amplius“ heißt. Die hier zu beobachtenden Varianten sind aber leider allesamt nicht sonderlich aussagekräftig und lassen daher keine genauere Einordnung in die Überlieferung zu, was bei so wenig Text nicht verwundern kann. Grob lässt sich immerhin eine Nähe von Barcelona zu Montpellier, Paris und Kopenhagen ausmachen, die allesamt in französischen Skriptorien entstanden sind.

Inhaltlich befasst sich das Kapitel damit, dass jede Kirche einen „mansus“ erhalten soll, der abgabenfrei ist. Es verwundert nicht, dass solch eine Regelung den Weg in eine kanonistische Handschrift gefunden hat, beschäftigt sie sich doch mit der grundlegenden Ausstattung einer Kirche. Einen ähnlichen Nachtrag in einem kirchenrechtlichen Codex haben wir mit Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek, Cod. 120 im Februar 2018 präsentiert. Nachträge und Ergänzungen in mittelalterlichen Handschriften stellen sich also immer wieder als eine ergiebige Quelle für die Rezeption von Kapitularien heraus.

Dominik Trump


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Literatur

Kéry 1999
Koal 2001
Schmitz G 1996

Empfohlene Zitierweise
Dominik Trump, Handschrift des Monats Mai 2022: Barcelona, Biblioteca de Catalunya, 945, in: Capitularia. Edition der fränkischen Herrschererlasse, bearb. von Karl Ubl und Mitarb., Köln 2014 ff. URL: https://capitularia.uni-koeln.de/blog/handschrift-des-monats-mai-2022/ (abgerufen am 22.11.2024)