Vom 15. bis 19. September 2025 fand in München die diesjährige MGH-Herbstakademie zum Thema „Frühmittelalterliches Recht. Überlieferungsgeschichte und Edition” statt. Die Veranstaltung wurde von Dr. Dominik Trump (MGH) organisiert. Das fünftägige Programm bot den zehn Teilnehmenden aus Belgien, Deutschland, China, den Niederlanden und Österreich intensive Einblicke in die Editionspraxis dreier verschiedener Akademieprojekte, die sich mit frühmittelalterlichen Rechtstexten befassen: aus Hamburg “Formulae – Litterae – Chartae”, aus Mainz und Kassel “Burchards Dekret digital” und unsere “Edition der fränkischen Herrschererlasse”. Nach der Einführung in das Thema der Herbstakademie sowie einem Überblick zum Römischen Recht im Frühmittelalter am Montag gestalteten die drei Projekte jeweils einen der folgenden Tage.
Der Mittwoch widmete sich somit ganz den Kapitularien. Britta Mischke und Sören Kaschke führten die Gruppe zunächst in die Quellengattung ein und stellten anhand des Kapitulars Lothars I. von 832 (BK 201 = Nr. 51 der Neuedition) exemplarisch die Komplexität der Überlieferung vor. Die Teilnehmenden hatten vorab Gelegenheit, sich mit einer digitalen Edition des Textes auf der Handschriftenseite von Paris, BnF, Lat. 4613 vertraut zu machen. Nach einer Übersicht des Konzepts der Hybridedition bei Capitularia wurden in der gemeinsamen Arbeitssitzung zentrale Fragen diskutiert: Wie lässt sich editorisch den sehr unterschiedlichen Manifestationen eines Kapitulars gerecht werden? Welche Bedeutung haben kodikologischer Kontext, Sammlungsstrukturen und Textvarianz für die Erstellung des Editionstexts? Für welche historischen Fragestellungen bietet die digitale Edition, für welche die Printversion den jeweils günstigsten Zugang? Im Bereich der digitalen Edition wurde auch das Kollationstool als wichtiges Hilfsmittel vorgestellt.
Der Tag endete mit einem Abendvortrag von Prof. Dr. Karl Ubl (Universität zu Köln) mit dem Titel “Sind Rekonstruktionen von Urtexten legitim? Zur Textgeschichte der Lex-Salica-Prologe”. In diesem zeigte er anschaulich, wie sich in diesen Texten fränkische Ursprungsmythen und politische Legitimationsstrategien miteinander verbinden. Gerade die unterschiedlichen Prologe, die nur in bestimmten Handschriftengruppen überliefert sind, verdeutlichen, wie flexibel mit solchen Rechtstexten umgegangen wurde und wie sehr sie jeweils aktuellen politischen Bedürfnissen angepasst werden konnten. Beim anschließenden Umtrunk bot sich weitere Gelegenheit zur Diskussion.
Ein besonderes Highlight war am Freitag der Besuch in der Handschriftenabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek, wo die Teilnehmenden unter fachkundiger Anleitung von Dr. Andreas Öffner und Dr. Dominik Trump verschiedene Rechtshandschriften im Original studieren konnten. Die Möglichkeit, diese nicht nur in digitalisierter Form, sondern auch physisch in die Hand zu nehmen, wurde von allen als bereichernd empfunden.
Den Abschluss der Herbstakademie bildete dann eine von Daniela Schulz gestaltete Sitzung zu digitalen Ressourcen und Werkzeugen in der rechtsgeschichtlichen Forschung. Die Teilnehmenden erhielten einen Überblick über relevante Portale, Datenbanken und Tools – von Handschriftendatenbanken wie der „Bibliotheca legum” über Transkriptionswerkzeuge bis hin zu Forschungsinformationssystemen. Besonders diskutiert wurden die Kriterien für „gute” digitale Editionen sowie die Potenziale und Grenzen des Einsatzes von KI im editorischen Workflow. Hier zeigte sich, dass die Frage nach der Wissenschaftlichkeit und Nachhaltigkeit digitaler Ressourcen gerade für langfristig angelegte Editionsprojekte von zentraler Bedeutung ist.
Die positiven Rückmeldungen der Teilnehmenden bestätigten, dass die Verbindung von traditioneller Handschriftenkunde mit modernen Editionsmethoden und digitalen Werkzeugen genau den Bedürfnissen der aktuellen Forschendengeneration entspricht. Besonders hervorgehoben wurde die Möglichkeit, verschiedene Editionsprojekte kennenzulernen und sich über methodische Fragen auszutauschen. Für das Kapitularienprojekt selbst bot die Herbstakademie zudem eine willkommene Gelegenheit, die eigene Arbeit zu präsentieren und im direkten Austausch mit Kolleginnen und Kollegen sowie dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu reflektieren.
Zur Herbstakademie ist seitens der MGH ebenfalls ein Blogpost erschienen, ebenso auf dem Text+ Blog.

