Capitularia - Edition der fränkischen Herrschererlasse

Kapitular des Monats Juli 2023: Das Münzkapitular Ludwigs des Frommen

Das Kapitular des Monats Juli 2023 ist ein alter Bekannter: das Münzkapitular Ludwigs des Frommen (BK 147), das im April 2021 schon einmal ausführlicher hier behandelt wurde. Ohne zu übertreiben kann man sagen, dass es in mehrfacher Hinsicht eines der interessantesten Kapitularien des ersten Bandes der Neuedition ist, der die Erlasse Ludwigs des Frommen und Lothars (bis 840) beinhalten wird. Das Kapitular – in der Neuedition als Nr. 18 gezählt – ist nur unikal in der Handschrift Paris, Bibliothèque nationale de France, Lat. 4788 (P22), foll. 117r–118r überliefert, die um die Mitte bzw. im 3. Viertel des 9. Jahrhunderts entstand (Mordek 1995, S. 546–549) und durch verschiedene äußere Einflüsse, insbesondere Feuchtigkeit, teils schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Das Pergament ist an den meisten Stellen so abgerieben oder beschädigt, dass vom Text des Münzkapitulars so gut wie nichts mehr zu entziffern ist. Zuvor wurde es nur von Pertz (Pertz G 1835, S. 159) ediert, der noch relativ viel vom Text entziffern konnte. Boretius druckte den Text dann nach Pertz, da er dessen Lesungen wenige Jahre später kaum noch anhand der Handschrift bestätigen konnte (Boretius 1883, S. 299–300). Es ergeben sich für den heutigen Editor also gleich mehrere Probleme: Ein Kapitular muss anhand einer Handschrift neu ediert werden, die kaum noch lesbar ist, und der aktuelle Forschungsstand manifestiert sich in der fast 200 Jahre alten Edition von Pertz – einer Edition zumal, die aufgrund ihres Entstehungszeitpunkts schon vermuten lässt, dass man mit einigen Emendationen und Konjekturen zu rechnen hat. Pertz räumt entsprechende Konjekturen auch selbst ein. Es ist also klar, dass der Editionstext von Pertz nicht an allen Stellen dem entspricht, was wirklich in der Handschrift steht bzw. einst stand. Pertz markierte konjizierte Stellen und unsichere Lesungen mit Kursivdruck, was es unmöglich macht zu unterscheiden, welcher Kategorie ein kursiv gedrucktes Wort zuzuordnen ist: Konjektur oder unsichere Lesung.

Paris, BnF, Lat. 4788, fol. 117r: Noch etwas besser lesbarer Teil mit cc. 1-2 des Kapitulars

Wenn man sich dies vergegenwärtigt, war es natürlich keine Option, den Text von Pertz für die Neuedition einfach nachzudrucken – ganz im Gegenteil: Pertzens Edition wird quasi selbst zum Textzeugen, da er noch am meisten vom Kapitularientext lesen konnte. Da man allerdings am Original selbst nur noch wenig erkennen kann, mussten weitere Hilfsmittel herangezogen werden. Aus diesem Grund wurden Ende 2021 in Kooperation mit dem Hamburger SFB „Manuskriptkulturen“ und mit der freundlichen Genehmigung der Pariser Nationalbibliothek Multispektralaufnahmen angefertigt, die als Grundlage für die Neuedition des sogenannten Capitulare de moneta gedient haben. Das Kapitularienprojekt erhielt dabei pro Folioseite mehrere Bilder, die mit unterschiedlichen Lichtspektren aufgenommen wurden. Durch den Vergleich der verschiedenen Bilder war es möglich, sich die jeweils beste Aufnahme für eine spezifische Textstelle herauszusuchen.

Durch diese spezielle Überlieferungssituation und durch die Editionen von Pertz und Boretius vorgezeichnet, folgt auch die Neuedition des Stücks zeilengenau der Handschrift, dokumentiert aber wesentlich detaillierter, welche Buchstaben wirklich noch entziffert werden können, welche unsicher zu lesen sind und welche Buchstaben oder Wörter der Lesung von Pertz folgen, da sie heutzutage gar nicht mehr entzifferbar oder verloren sind. Wie bei Pertz werden Lücken, in denen gar keine Buchstaben mehr lesbar sind, angegeben, aber im Gegensatz zu ihm genauer dargestellt, wie viele Buchstaben dort theoretisch Platz gefunden hätten. Ein großes Loch auf fol. 117 wird ebenfalls berücksichtigt und in der Edition dokumentiert, da es bereits vor der Niederschrift des Kapitulars da gewesen sein muss. Die Nutzerinnen und Nutzer der Edition haben so die Möglichkeit, jederzeit nachvollziehen zu können, wie sicher oder unsicher eine Lesung ist und wie sich der Text in der Handschrift präsentiert. Dies wird durch ein klar nachvollziehbares Klammer- und Zeichensystem realisiert, das in der gesamten Neuedition nur bei diesem Stück Anwendung findet. Dass der Text auch mithilfe der Multispektralaufnahmen ziemlich lückenhaft bleibt, hat allerdings zur Folge, dass die deutsche Übersetzung nur wenige syntaktisch einigermaßen sinnvolle Abschnitte berücksichtigen konnte.

Auch wenn selbst die Multispektralaufnahmen den Text an vielen Stellen nicht mehr zurückholen konnten, was leider dazu führt, dass das Kapitular inhaltlich nach wie vor nur recht vage erschlossen werden kann, so konnten doch einige Verbesserungen im Vergleich zu Pertz und Boretius erzielt werden, zumal für die Neuedition die Handschrift sehr eingehend untersucht wurde. Vor allem konnte häufiger nachgewiesen werden, dass sich Pertz und ihm folgend Boretius mit ihren Lesungen bzw. Konjekturen geirrt haben – das, was sie angeben, trifft in vielen Fällen nicht zu, entweder, weil der Platz für die Buchstaben und Wörter nicht ausreicht, weil andere Buchstaben zu erkennen sind oder weil sie sich schlicht verlesen haben. Hinzu kommen einzelne Buchstaben, Wortteile oder ganze Wörter, die sie nicht entziffert haben – durch die Multispektralaufnahmen konnte also auch Neues zu Tage gefördert werden. An einer Stelle musste zudem der Beginn eines Kapitels verschoben werden. Alle textlichen sowie inhaltlichen Besonderheiten werden umfassend kommentiert und erläutert, was dazu führt, dass die Neuedition wesentlich umfangreicher als ihre Vorgängerinnen ist.

Paris, BnF, Lat. 4788, fol. 117r: Multispektralaufnahme mit einem Teil von cc. 1-2 des Kapitulars

Die Neuedition des Stücks hat gezeigt, dass alle zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden sollten, um zu Fortschritten bei prekär überlieferten Texten zu kommen. Die Multispektralaufnahmen sind hier ein erprobtes und gut funktionierendes Mittel, auch wenn diese Technik Grenzen hat, was die Edition des Münzkapitulars ebenfalls deutlich gemacht hat, da der hintere Teil der Handschrift derart beschädigt ist (durch Abrieb, Feuchtigkeit, Löcher und Pergamentabriss), dass es schlicht nicht möglich ist, bessere Ergebnisse zu erzielen. Die Neuedition lehrt darüber hinaus, wie wichtig Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Sorgfalt und Benutzerfreundlichkeit als Editionsprämissen sind, aber zugleich auch, wie sehr sie – wie im Falle von Pertz – das Bild von einem Text verzerren können. Die Neuausgabe des Münzkapitulars ist zudem ein gutes Beispiel dafür, wie sehr sich Neueditionen lohnen können, auch wenn sich am Text selbst nicht sehr viel ändert.

Dominik Trump

Literatur:

Pertz G 1835
Boretius 1883
Mordek 1995

Abbildungen:

Centre for the Study of Manuscript Cultures (CSMC), Universität Hamburg; gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), EXC 2176 „Understanding Written Artefacts: Material, Interaction and Transmission in Manuscript Cultures“, Projektnr. 390893796

Empfohlene Zitierweise
Dominik Trump, Kapitular des Monats Juli 2023: Das Münzkapitular Ludwigs des Frommen, in: Capitularia. Edition der fränkischen Herrschererlasse, bearb. von Karl Ubl und Mitarb., Köln 2014 ff. URL: https://capitularia.uni-koeln.de/blog/kapitular-des-monats-juli-2023/ (abgerufen am 22.12.2024)