An einem nieselverhangenen Wochenende zum Feste des heiligen Nikolaus im Jahre 2020 wurde in einer Bonner Archivküche (das Archiv möchte aus Datenschutzgründen nicht namentlich genannt werden) im hinteren Teil eines staubigen Schrankes mit Backutensilien ein sensationeller Fund gemacht: der Cap-Cake.
Alles begann mit der Idee, einen Kuchen in Form der hochmittelalterlichen Reichskrone für die alljährliche Weihnachtsfeier der Abteilung Mittelalter des Historischen Instituts zu backen. Nachdem jedoch bereits relativ früh abzusehen war, dass eine solche Feier in so großem Rahmen dieses Jahr nicht stattfinden würde, kam der Gedanke auf, stattdessen einen Kuchen für den kleineren Kreis des Capitularia-Projektes zu backen, der eine dementsprechend thematisch passendere Form erhalten sollte – nämlich jene einer mittelalterlichen Kapitularienhandschrift.
Hierfür machten wir uns in den Blogbeiträgen zur “Handschrift des Monats” auf die Suche nach geeigneter Inspiration. Und so fanden wir einen der wenigen Prachtcodices, welcher auch Kapitularien enthält: MS New Haven 413. Wir wählten fol. 166r, welches eine besonders schön illuminierte Rubrik besitzt, als Vorlage für unseren Capitularia-Kuchen (kurz: Cap-Cake).
Ende November startete das Projekt Cap-Cake: Wir deckten uns mit allerlei Backzubehör (darunter einem Jahresvorrat an pergamentfarbenem Fondant) ein, befragten unsere Kollegen und Kolleginnen unter dem Vorwand “hintergedankenfreier Grundlagenforschung” nach möglichen Nussallergien und begannen mit den ersten Entwürfen für den “Codex”. Am Nikolaus-Wochenende kam es schließlich zur Realisierung des Vorhabens und wir arbeiteten zwei Tage lang an dem Manuskript der etwas anderen Art. Wir stellten ein Kilo Rührteig her und füllten die Form anschließend mit einer Nussecken-ähnlichen Mischung aus karamellisierten Nüssen und Aprikosenmarmelade auf.
Nach zweifachem Backen wurde der Kuchen rundherum mit Schokolade bestrichen und durfte über Nacht ruhen. Am nächsten Tag präparierten wir das “Pergament” in Form von Fondant, um die Seiten des Codex realistisch zu imitieren.
Auch Seitenmarkierungen aus rotem “Leder” wurden an den Rändern angebracht.
Nun kam unsere Vorlage MS 413 zum Einsatz: Wir lernten den Vorteil der Blindlinierung kennen, als wir uns daran begaben, die mehrfarbigen Ornamente sowie den Text mit Lebensmittelfarbe detailreich zu kopieren.
Eine aus weißem Fondant gefertigte Schreibfeder platzierten wir auf der recto-Seite des aufgeschlagenen Buches.
Da wir unseren Kollegen aufgrund der derzeitigen Situation das Werk nicht persönlich im Rahmen einer Weihnachtsfeier vorstellen konnten, mussten wir uns etwas einfallen lassen, was auch auf Distanz allen eine freudige Überraschung bereiten würde. Darum verfassten wir ein kleines Extrablatt der gerade von uns eigens zu diesem Zwecke ins Leben gerufenen Mediävistischen Rundschau, in dem wir den Sensationsfund einer bisher unbekannten Kapitularienhandschrift ankündigten. Dieses Extrablatt schickten wir per E-Mail an alle Kolleginnen und Kollegen.
Das Extrablatt der Mediävistischen Rundschau vom 8.12.2020 kann hier gelesen werden.
Der Kuchen selbst wurde daraufhin in den Büroräumen des Projekts abgestellt, und dem leiblichen Wohl unserer Kolleginnen und Kollegen zum Besten gegeben, die sich bei Anwesenheit im Büro jeweils selbst bedienen konnten.
Da die Handschrift also bald nach Veröffentlichung quasi unter starkem “Bücherwurm”-Befall litt, schrumpfte sie nach und nach, bis nichts mehr von ihr übrig war. So bleiben nur die Fotos als Zeugen ihrer Existenz. Eine genaue Katalogaufnahme wird außerdem in diesem Blogpost der wissenschaftlichen Forschungsgemeinschaft für die Zukunft zur Verfügung gestellt.
Trotz der Kurzlebigkeit der Handschrift und der etwas anderen Umstände in diesem Jahr, hoffen wir, allen Capitularianern und Capitularianerinnen hiermit dennoch eine Freude zum Jahresende gemacht zu haben! Uns war es in jedem Fall eine Ehre und eine große Freude, auf diesem Wege doch etwas Kulinarisches zur Weihnachtszeit beitragen zu können!
Katalogaufnahme zu MS CC 2020
Material: | Obermaterial: Fondant; Füllung: Mehl, Butter, Zucker, Milch, Backpulver, Schokostückchen, Walnüsse, Haselnüsse, Mandeln, Aprikosenmarmelade |
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Umfang: | unbekannt (wo erkennbar nicht paginiert/foliiert) |
Maße: | ca. 288 x 191,5 x 100 mm |
Schriftraum: | ca. 238 x 151,5 mm |
Lagen: | Leider konnten die Lagen nicht genauer bestimmt werden, da sich der Codex aus bisher ungeklärter Ursache nur an einer Stelle öffnen ließ, nämlich jener, wo die Feder zwischen den Seiten konserviert war. |
Zustand: | Nicht länger auffindbar aufgrund von massivem “Bücherwurm”-Befall |
Spalten: | 1 |
Schrift: | karolingische Minuskel |
Schreiber: | zwei Haupthände (Rubrik und Text) |
Ausstattung: | rote Rubriken in Capitalis Rustica, dem Reimser Stil zur Zeit Hinkmars ähnelnde Initialen in Rot, Grün und in brauner Texttinte, mit Flecht- und Blattornamentik |
Einband: | Zartbitter- und Milchschokolade im Verhältnis 4:3 (21. Jahrhundert) |
Inhalte: | Die Seite, die geöffnet werden konnte, zeigte eine unvollständige Abschrift des Edictum Pistense Karls des Kahlen von 864. |
Alina Ostrowski, Amelie Paulsen