München, Bayerische Staatsbibliothek, Lat. 4460
Beschreibung der Handschrift nach Mordek
Aufbewahrungsort
MünchenBayerische Staatsbibliothek
Lat. 4460, foll. 1-102
Entstehung und Überlieferung
Entstehung:
11. Jh.; Süddeutschland
Provenienz:
Provenienz: Dominikanerkloster Bamberg (alte Signatur: MI. q. 34. a. auf dem Spiegel des Vorderdeckels oben). Vorn eingelegt: Brief von Prof. Reuss (Würzburg, 30. März 1841) und dessen Abschrift der foll. 111v-114r („Himmel und Hölle“), die er heimlich anfertigte, da er einen Verkauf der „in einer hiesigen Privatsammlung aufbewahrten und um 1000 fl. ausgebotenen alten Perg.HS.“ ins Ausland befürchtete und ihm der damalige - offenbar Würzburger - Eigentümer „beides (Abschrift u. Abdruck) streng untersagt“ hatte.
Äußere Beschreibung
Material: | Pergament |
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Umfang: | Cod. München Lat. 4460 besteht aus vier Teilen von insgesamt 190 Blättern (dazu vorn und hinten je ein altes beschriebenes Pergamentschutzblatt des 15. Jh.), die alle aus dem Bamberger Dominikanerkloster stammen (Provenienzvermerke foll. 1r , 116r, 171r). Unser Teil: 102 foll. |
Maße: | 175 × 120 mm |
Schriftraum: | 145 × 80 mm |
Lagen: | vierte und fünfte Lage in falscher Reihenfolge
eingebunden
11 IV88 + (V-2)96 + (IV-2)102
|
Zeilen: | 24-25 |
Spalten: | 1 |
Schrift: | karolingische Minuskel |
Ausstattung: |
Rubriken in Capitalis rustica und Minuskel, meist rot; einfache rote Initialen und Zahlen |
Einband: |
hellbrauner Ledereinband (Zierprägung) um Holzdeckel mit Schließe |
Inhalte
Anmerkung:
Die Teile I (1-102) und II (103-115) gehören codicologisch eng zusammen; jedenfalls ist Teil II (11. oder 12. Jh.; auf Deutsch: „Bamberger Glaube und Beichte“ [103r-111v] und „Himmel und Hölle“ [111v-114r], ed. E. von Steinmeyer, Die kleineren althochdeutschen Sprachdenkmäler [Berlin 1916] S. 135-148, 153 f., zur Hs. S. 148, 154) gezielt an Teil I angeschlossen (erste Lage [Quaternio] mit gleichem Schriftspiegel und gleicher Zeilenzahl).
Die Teile III und IV sind erst im Spätmittelalter entstanden (14. bzw. 15. Jh.); vgl. zum Inhalt die Katalogangaben.
Hier interessiert nur der erste Teil, ein beachtlicher Codex frühmittelalterlichen weltlichen Rechts. Er beginnt mit dem Prolog zur Lex Baiuvariorum, der Lex Alamannorum und einigen den Volksrechten beigegebenen Kapitularien der Jahre 803 (?) bis 818/819. Den Kern des Werkes füllt die Kapitulariensammlung des Ansegis mit einem Teil der Wormser Gesetzgebung Ludwigs des Frommen a. 829, wogegen sich das römische Recht am Schluß bescheiden ausnimmt.
Das mit Cod. Stuttgart iur. 4° 134 verwandte Werk geht streckenweise wohl auf einen Vorläufer des Cod. München Lat. 3853 (mit Verwandten) zurück und demonstriert einmal mehr die Attraktivität des alten Rechts noch im Hochmittelalter.
Bibliographie
Literatur:
- Reuss, Notiz über eine werthvolle Miscellaneenhandschrift, in: Serapeum 2 (1841) S. 64
- MGH LL 3 (1863), S. 5 (Cod. Babenbergensis), 195
- G. Hänel, Über den wieder aufgefundenen Codex Weissenaugensis der Lex Alamannorum mit Stücken der Epitome Aegidiana des Alaricischen Breviars, in: Berichte über die Verhandlungen der königlich sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig, Philol.-hist. Cl. 17 (Leipzig 1865) S. 15-17
- Boretius 1897, S. XVIII
- Mommsen 1905, Bd. 1, 1, S. CI; ebd. S. CCCXXX f. (von Wretschko)
- Glauning 1911, Tafel XVII (S. 17-19, ungez.)
- Christ 1937, S. 315
- Dolezalek 1972, Bd. 2
- Bergmann 1973, S. 58 Nr. 473
- R. Bergmann, Die althochdeutschen Glossen zur Lex Alamannorum im clm 4460, in: Sprache und Recht. Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters. Festschrift für Ruth Schmidt-Wiegand, hg. von K. Hauck u. a., Bd. 1 (Berlin - New York 1986) S. 56-66
- Kottje 1987, S. 374
- Krämer 1989, S. 67
- Krämer 1989a, S. 362
- de Sousa Costa 1993, S. 55 u. ö.
Kataloge:
Abbildungen:
- MGH LL 3, Taf. II, 10 vor S. 3 (5 Zeilen nachgezeichnet)
Projektspezifische Referenzen:
- Abb. in Glauning 1911, Tafel XVII (S. 19, ungez.) (fol. 111v-112r)
- Mordek 1995, S. 308-312
- Hoffmann 1995, S. 182
- Schmitz G 1996, S. 104-106
- Bergmann 2005a, S. 971-973, Nr. 473
- Bibliotheca legum regni Francorum manuscripta, Karl Ubl (Hrsg.) unter der Mitarbeit von Dominik Trump und Daniela Schulz, Köln 2012 ff.
Transkription
Editorische Vorbemerkung zur Transkription
Transkriptionsvorlagen: Zwei Digitalisate. (1) Ordentliche schwarz/weiß-Aufnahmen von fol. 20-24. (2) Gute, aber nicht hochauflösende Farbaufnahmen der gesamten Handschrift von der BSB München.
Schreiber
Zu fol. 23r-24v, 33r, 92r-95v: Saubere und gleichmäßige, recht große karolingische Minuskel. Ein Schreiber (A), der sowohl den Text von BK 191-192 wie von BK 134 mit den dort z.T. marginal eingetragenen Auszügen von BK 139 c. 10-12 kopierte. Letztere sind (bis auf c. 12) mit einer feineren Feder in etwas dunklerer Tinte ausgeführt. Die Tilgung eines falschen Buchstabens wird gelegentlich durch Expungieren, eines ganzen Wortes durch Unterstreichen angezeigt.
Buchstabenformen
Zu fol. 23r-24v, 33r, 92r-95v:
Einzelbuchstaben: Kleines doppelstöckiges a mit zumeist völlig senkrechtem Schaft. In seltenen Fällen findet sich unziales d am Wortbeginn und in Wortmitte. Im Text parallele Verwendung von u wie v, wie auch von einer Zwischenform, z.B. bei plures auf fol. 92v, Z. 14; diese ist jeweils als v transkribiert. Bei h wird der zweite Schaft unten oft extrem zurückgebogen, z.T. bis an den ersten Schaft so dass der Eindruck eines b entstehen kann.
Ligaturen: Häufigere Verwendung einer markanten vs-Ligatur. Ähnliche Ligaturen finden sich auch, wenngleich deutlich seltener, für -as, -es, -is und -os am Wortende, z.B. bei alienas (fol. 94r, Z. 11), meliores (fol. 94v, Z. 2), fiscalinis (fol. 95r, Z. 22) und eos (fol. 23r, Z. 8). Selten auch nt- und or-Ligaturen am Wortende.
Besonderheiten: Bei den Auszeichnungsbuchstaben überwiegt das Capitalis-Alphabet, es tauchen aber immer wieder auch Unzialbuchstaben auf.
Abkürzungen
Zu fol. 23r-24v, 33r, 92r-95v: Markante Kürzungen von autem als au bzw. aut mit Kürzungsstrich, z.B. fol. 24v, Z. 16 oder fol. 92v, Z. 4, sowie von sed als s mit folgendem komma-artigen Zeichen (vgl. Cappelli 2012, S. 337), z.B. fol. 24v, Z. 6. Ungewöhnliche arum-Kürzung, die einer ae-Ligatur ähnelt, bei der der Schaft des a in die Unterlänge gezogen und dort gekreuzt wird, vgl. fol. 23v, Z. 10 linker Rand und fol. 24v, Z. 11. Ungewöhnliche t(u)nc-Kürzung, ebenso eine i(n)-Kürzung aus einem i mit waagerechtem Strich darüber.
Aufgrund der parallelen Verwendung von u und v sowie einer leichten Neigung des Schreibers zur Verwendung von u/v nach Lautwert ist das ausschließlich in Form eines l mit Kürzungsstrich vorkommende vel stets mit v aufgelöst worden.
Interpunktion
Verwendung von media distinctio, selten auch punctus versus, z.B. fol. 93r, Z. 16 sowie colon, z.B. fol. 93r, Z. 20.
Gliederungsmerkmale
Zu fol. 23r-24v, 33r: Absätze werden durch eine in die Versalienspalte ausgerückte rote Initiale markiert, danach folgen Majuskeln in Texttinte für die ersten zwei bis drei Worte des Absatzes. Rubriken oder eine Kapitelzählung fehlen.
Zu fol. 92r-95v: Absätze werden durch eine in die Versalienspalte ausgerückte rote Initiale in Verbindung mit Majuskeln in Texttinte für das erste Wort des Absatzes markiert. Es gibt keine Kapitelzählung, und nur drei Rubriken in roter Tinte, für BK 191 c. 4-5 und BK 192 c. 1. Diese Rubriken sind jeweils am Ende der letzten Zeile des vorhergehenden Kapitels eingetragen.
Ausnahmen: Bei BK 191 c. 3 und BK 192 c. 3-4 beginnt das neue Kapitel jeweils in direktem Anschluss in gleicher Zeile (mit roter Initiale). BK 192 c. 12 beginnt in neuer Zeile mit leicht ausgerückter Majuskel in Texttinte und roter Füllung. BK 192 c. 5 beginnt ebenfalls in neuer Zeile mit ausgerückter Majuskel, aber nur in Texttinte. Ob damit der Anfang eines neuen Kapitels signalisiert werden sollte, ist unklar, in der Transkription sind BK 192 c. 4-6 als ein Kapitel behandelt. BK 191 c. 6, 7 und 9 (c. 8 fehlt in der Hs.) und BK 192 c. 6 beginnen jeweils in gleicher Zeile nach dem Schluss des vorherigen Kapitels, aber ohne farbige Initiale und nur mit einfacher Majuskel, wie sie z.T. aber auch innerhalb von Kapiteln verwendet wird, d.h. ohne einen Kapitelwechsel anzuzeigen. In der Transkription sind BK 191 c. 6-9 entsprechend als ein Kapitel behandelt. Beim Übergang zu BK 192 folgt in gleicher Zeile (Ende von BK 191 c. 10) eine Rubrik (De d[omi]nicis beneficiis) in roter Tinte, die möglicherweise als Überschrift einer neuen Kapitelliste missverstanden wurde, sich aber tatsächlich nur auf den Inhalt von BK 192 c. 1 bezieht.
Bei BK 191 fehlt c. 7, bei BK 192 fehlen c. 13-15, während c. 7-8 in vertauschter Reihenfolge eingetragen sind. BK 192 c. 9-10 sind zu einem Kapitel zusammengezogen. Der Übergang erfolgt in gleicher Zeile, wobei das neue Kapitel nach media distinctio mit einer Majuskel beginnt. Da Majuskeln nach Satzzeichen aber häufiger vorkommen, sollte hiermit offenbar kein Kapitelanfang gekennzeichnet werden. Auch BK 192 c. 11-12 sind zu einem Kapitel zusammengezogen (große rote Initale am Beginn von c. 11), obwohl an zwei Stellen kleinere Einschnitte markiert sind, indem nach einem Satzzeichen auf neuer Zeile mit einer leicht ausgerückten Majuskel mit dezenter roter Füllung fortgesetzt wird. Dies betrifft zum einen die Passage ab Comites autem reddant rationem in BK 192 c. 11, zum anderen den Anfang von c. 12 (Vt examen...).
Benutzungsspuren
Ein spätmittelalterlicher Bearbeiter (nach Mordek 1995, S. 310: des 15. Jahrhunderts) bemerkte offenbar die vertauschten Lagen der zu diesem Zeitpunkt noch nicht foliierten Blätter. Beginnend mit dem Text der Lex Alamannorum (fol. 4r; die vorangehende Capitulatio der Lex auf fol. 2r-4r ließ der Bearbeiter hierbei unberücksichtigt) ergänzte er jeweils am oberen Rand der recto-Seiten ab fol. 4r bis fol. 24r eine (arabische) Zählung als f. 1 bis f. 21 mit schwarzer Tinte. Diese Zählung setzte er in der 5. Lage (fol. 33r-40v) bis f. 25 (entspricht fol. 36r der heutigen Zählung) fort. Innerhalb dieser Lage beginnt auf fol. 34v die Sammlung des Ansegis mit vorangehender Praefatio und Capitulatio. Mit Einsetzen des Textes von Ansegis, Buch 1 wechselte der Bearbeiter von seiner Folia-Zählung zur pauschalen Bezeichnung .L. .I., wohl für Liber Primus (ab fol. 37 bis zum Ende der Lage und auf den inhaltlich daran anschließenden ersten beiden Folia der falsch eingebundenen Lage, fol. 25-26).
Um den korrekten Lesefluss anzuzeigen, notierte der Bearbeiter auf fol. 24v am Ende der Seite einen Vermerk post octo folia ad tale signum .T., sowie damit korrespondierend auf dem oberen Rand von fol. 33r an[te] octo folia ad tale signum T. Nachdem zu einem späteren Zeitpunkt die heutige Foliierung in der gesamten Handschrift eingetragen war, ergänzte ein weiterer Nutzer unter dem ersten Vermerk, der den Sprung im Text von fol. 24v auf fol. 33r anzeigte: i.e. fol. 33. Außerdem ist der spätmittelalterliche Bearbeiter für zwei Nachträge auf fol. 22v und fol. 33v zwischen der Lex Alamannorum und dem ersten Kapitularienabschnitt bzw. zwischen diesem und Ansegis verantwortlich (transkribiert bei Mordek 1995, S. 310).
Zusätzlich zur neuen Foliierung zählte der erste Bearbeiter die Absätze bzw. Kapitel eines jeden Foliums alphabetisch durch, sowohl im Text der Lex Alamannorum wie bei den anschließenden Kapitularien. In der Capitulatio der Lex trug er sodann, allerdings nur auf den ersten zwei Seiten, für jedes Kapitel die Angabe der von ihm zugewiesenen Abschnittzählung aus Seitenzahl und Buchstabe ein, also z.B. 3.d. Im Text der Lex Alamannorum fügte der Bearbeiter schließlich auf fol. 4v-6r zusätzlich kurze Rubriken ein, beginnend bei Titel I.2, da Titel I.1 schon von der anlegenden Hand rubriziert worden war. Diese stimmen mal mit der Capitulatio überein, sind mal aber auch frei formuliert.
Auch die ersten drei Seiten der Capitulatio zu Ansegis wurden vom gleichen Bearbeiter um eine komplizierte alphabetische Zählung ergänzt, die im Folgenden, kombiniert mit einer arabischen Kapitelzählung (die aber von der vorhandenen römischen Zählung abweicht), auf fol. 25r-26r und fol. 37v-40v jeweils am Rand eingetragen ist.
Zu fol. 92r-95v: Auf fol. 92r-95v am Rand von neuzeitlicher Hand mit Blei ergänzte Kapitelzählung sowie diverse Verweise, u.a. auf Pertz I.350-352, d.h. die alte Edition in MGH LL 1, wo die beiden Kapitularien (BK 191-192) auf S. 350-353 ediert sind. Die gleiche Hand teilt auch die Kapitel durch Striche im Text voneinander ab und fügt Titel aus den diversen Editionen hinzu. Auf fol. 95r am unteren Rand von anderer neuzeitlicher Hand die moderne Signatur clm 4460.
Sonstiges
Zur Textgestalt von BK 134 und 139: In die Kopie von BK 134 wurden in drei Kapiteln Auszüge aus BK 139 eingearbeitet: Im ersten Fall (c. 1 auf fol. 23r-v) erfolgte dies in Form von zwei Nachträgen am Rand von fol. 23v (BK 139 c. 10 Z. 10-15 auf dem linken Rand, BK 139 c. 10 Z. 18-20 auf dem unteren Rand); im zweiten Fall (c. 4 auf fol. 24r-v) in Form von Korrekturen und Nachträgen aus BK 139 c. 12 auf fol. 24r, z.T. interlinear, z.T. auf dem rechten Rand. Im dritten Fall (c. 5 auf fol. 24v) hingegen wurde offenbar von vornherein statt des Vorlagentexts von BK 134 c. 5, der zu Beginn von BK 139 c. 11 nahezu wörtlich wiederholt wird, gleich der vollständige Text von BK 139 c. 11 kopiert. Der Schreiber erkannte offenbar verspätet, aber noch bevor er mit dem gesamten Kapitular fertig war, dass sich die jeweiligen Kapitel mit demselben Inhalt befassen und sich z.T. wörtlich entsprechen. Er erweiterte daraufhin die frühere Textfassung von BK 134 (von 816) um die Neuerungen aus BK 139 (von 818/19), die sich z.B. auf das Verbot der Kreuzprobe beziehen (vgl. dazu auch Schmitz 1996, S. 104 f.). Sowohl Schmitz wie auch Mordek 1995, S. 310 vermerkten nur die erste und dritte Erweiterung, nicht aber die Umarbeitung von BK 134 c. 4 zu BK 139 c. 12.
Zum ersten Einschub (BK 134 c. 1, fol. 23v Z. 11-12) nach In ęcclesiasticis autem negociis crucis iudicio ...: Hier wollte der Schreiber zunächst wohl nur negociis mit dem in BK 139 c. 10 gebotenen causis ersetzen. Zu diesem Zweck trug er auf dem rechten Seitenrand neben Z. 11 (wo das getrennte ne-gociis beginnt) ein Verweiszeichen ein, dessen Gestalt praktisch nicht von einer vel-Kürzung (plus-förmiges Zeichen aus einem l mit leicht aufsteigendem Querbalken, wie es der Schreiber auch sonst verwendet, vgl. z.B. fol. 24v, Z. 18 und 21) zu unterscheiden ist, gefolgt von causis. Erst dann scheint ihm aufgefallen zu sein, dass der Text von BK 139 im Folgenden noch weiter abweicht. Entsprechend trug er über der folgenden Zeile (Z. 12) nach ne-gociis und über dem Anfang von crucis ein a ein, gefolgt von einem weiteren plus-förmiges Verweiszeichen. Eine Lesung der Verweiszeichen als Text (vel) könnte im ersten Fall noch Sinn ergeben (zu lesen dann: negociis vel causis), nicht aber im zweiten Fall (dann entweder: negociis vel causis a vel ubi de una parte ... eorum contentionibus imponatur crucis iudicio rei ueritas inquiratur oder negociis vel causis ubi de una parte ... eorum contentionibus imponatur a vel crucis iudicio rei ueritas inquiratur). Daher ist zu vermuten, dass die plus-förmigen Verweiszeichen hier eher im Sinne von oder lies zu verstehen sind. Erschwerend kommt hinzu, dass der Schreiber offenbar weder eine Einfügung noch eine Ersetzung beabsichtigt hatte, sondern seinen Lesern zwei unterschiedliche Fassungen des Kapitels bieten wollte. Dabei fällt aber auf, dass er den letzten Satz von BK 134 c. 1 (Testes vero ... qui vicini sunt) nicht in der bei BK gebotenen Textgestalt bringt, sondern in der an sieben Stellen markant abweichenden Textgestalt von BK 139 c. 10. Es könnte also auch vermutet werden, dass der Schreiber hier, ohne die in BK 139 fehlende Bestimmung zur Kreuzprobe auszulassen, den Text zu verbessern suchte, indem er ihn der aktuelleren Fassung von 818/819 annäherte. In diesem Fall ist aber unverständlich, warum er den Schlusssatz von BK 134 c. 1 im Haupttext aus BK 139 c. 10 kopiert haben sollte, den dort aber noch folgenden Satz (Si tamen contentio ... suam testes habere) auf dem unteren Rand eintrug. Dies könnte einerseits den Schluss nahelegen, dass die bei BK gebotene Fassung von BK 134 nicht ursprünglich ist, sondern eine fehlerhafte Kopie dieses Kapitulars darstellt, dessen ursprüngliche Textgestalt zuverlässiger in BK 139 erhalten ist. Alle 7 Abweichungen sind laut Apparat auch in den Textzeugen 5 und 6 (St. Paul 4/1 und Egerton 2832) von BK 134 zu finden, z.B. in BK 139 ut vel de statu hominis vel de possessione cuiuslibet gegenüber dem Haupttext von BK 134 mit ut de statu hominis vel de possessione eius. Andererseits ließe sich mutmaßen, dass am Hof selbst bei der Abfassung von BK 139 nicht die ursprüngliche Textfassung von BK 134 (sofern diese dem Haupttext bei BK entspricht) als Vorlage verwendet wurde, sondern eine Abschrift, die die gleichen Eigenheiten (bzw. Defekte) wie der von den Hss. St. Paul und Egerton repräsentierte Textzweig aufwies.
Der zweite Einschub Si tamen contentio ... testes habere steht als Nachtrag von drei Zeilen am unteren Rand der Seite, wobei hier die ersten Buchstaben der Zeilen noch lesbar sind, wenn auch angeschnitten. Der Auszug lässt sich inhaltlich gut an den letzten Satz von BK 134 c. 1 (Testes vero ... qui vicini sunt) anschließen, von dem sich wie erwähnt auch in BK 139 eine geringfügig abweichende Variante an gleicher Stelle findet. Hinter qui uiciniores sunt (der hier gebotenen Variante) folgen drei Punkte, angeordnet als auf der Spitze stehendes Dreieck, die als Einfügungszeichen gedeutet werden könnten, wobei man annehmen müsste, dass sich ein Pendant vor dem Nachtrag befunden hat und beim Beschneiden des Blattes verlorenging.
Widersprüchliche bzw. irrige Angaben bei Mordek 1995, S. 308 vierte und fünfte Lage in falscher Reihenfolge eingebunden, dagegen aber auf S. 311 falsch eingebundene Lage 6. Ersteres ist korrekt; die Lagen 4 und 5 wurden in vertauschter Reihenfolge eingebunden.