Capitularia - Edition der fränkischen Herrschererlasse

Paris, Bibliothèque nationale de France, Lat. 4419

Beschreibung der Handschrift nach Trump

Aufbewahrungsort
Paris
Bibliothèque nationale de France
Lat. 4419
Sigle: P58
Digitalisat verfügbar bei Gallica
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Entstehung und Überlieferung
Entstehung:

10. Jh., Frankreich (Hänel, Liebs); 10. Jh. (Mommsen, Meyer); 9./10. Jh. (Bischoff/Mentzel-Reuters); Ende 9./Anfang 10. Jh., Sens (Ganivet)

Provenienz:

Petrus Capetius, Jacques Cujas und die Gebrüder Pierre und François Pithou haben den Codex benutzt; alte Signaturen: Colbert 3606; Regius 5942.3.3

Anmerkung:

Die Handschrift ist in Mordek 1995 nicht verzeichnet. Zum "Neufund" der Teilüberlieferung auf fol. 1v vgl. Bibliotheca legum.

Äußere Beschreibung
Material: Pergament
Umfang: 78 foll.
Zeilen: 34
Spalten: 1
Schrift: karolingische Minuskel
Ausstattung:

rote Überschriften in Capitalis rustica, Initialen in Texttinte; rote Titelnummern und Überschriften, ab fol. 74r nur noch Verwendung von Texttinte

Einband:

brauner Ledereinband; 1971 restauriert

Inhalte
  • Ir
    bibliothekarische Notiz (Volume de 78 Feuillets. 12 Octobre 1889.)

  • Iv
    bibliothekarische Notiz (Breviarium Codicis Alarici ab incerti nominis monacho Abbatis iussu compositum vt indicat praefatio.)

  • 1r
    Glossen, vor allem aus den Etymologiae Isidors von Sevilla (ed. Hänel, S. 461: Vterini fratres dicuntur quia uno utero - quae biennio pubertate sua uiros praecedere solent); zwei Notizen zum Inhalt der Handschrift von neuzeitlichen Händen; Signaturen (s.o.) und roter Bibliotheksstempel der Königlichen Bibliothek zu Paris; weitere Notizen am unteren Blattrand.

  • 1v
    Capitula legibus addenda (818/819), c. 10: KAROLI cap. decimum Legis salicae LX. DE FALSIS TESTIBVS CONUINCENDIS. Si quis cum altero de qualibet causa - comitatus ad causam suam testes habere (MGH Capit. 1, Nr. 139, S. 282 Z. 40 - S. 283 Z. 20); Rest der Seite leer.

  • 2r-76v
    Epitome monachi mit Prolog (ed. Hänel, S. 3-452).

  • 76v-78r
    römischrechtlicher Text unter der Rubrik DE MERETRICIBUS ET INFAMIS; Interpretation zu Lex Romana Visigothorum Nov. Theod. 8, 1 (DE CURIALIBUS. Nulli ex genere - se nouerit subditurum); Appendix zur Lex Romana Visigothorum (ed. Hänel 1849, S. 453); neuzeitliche Vermerke zu den einzelnen Texten am Seitenrand.

  • 78r
    Gedicht (Epitaph; Nachtrag) für den burgundischen Herzog Richard († 921) im elegischen Distichon (ed. Werner, S. 75): Ecclesię clyppeus patrię defensio nostrae - Semper propitium possit habere deum; am rechten Seitenrand Federproben.

  • 78v
    Capitula legibus addenda (818/819), c. 10: [Beginn unleserlich] - ad causam testes habere (MGH Capit. 1, Nr. 139, S. 282 Z. 40 - S. 283 Z. 20), danach: cp. legis salicę LX Karoli decimo; die Seite wurde wohl mit Chemikalien behandelt, wodurch die Schrift bläulich gefärbt erscheint; auf dem Text von c. 10 ein übergeschriebener Vermerk: PETRV CAPETIVS possessor dono datus; Rest der Seite leer.


Transkription

Editorische Vorbemerkung zur Transkription

Transkriptionsvorlage: Die Transkription wurde erstellt nach einem hochauflösenden Farbdigitalisat auf Gallica und kollationiert am Original in der BnF am 30. September und 1. Oktober 2021.

Schreiber

Die hier transkribierten Einzelkapitel finden sich als Nachträge (?) auf fol. 1v und fol. 78v vor und nach dem eigentlichen Inhalt der Handschrift und sind jeweils - von zwei unterschiedlichen Kopisten - in einer karolingischen Minuskel geschrieben, die etwa zeitgleich mit oder nicht weit nach der Schrift der Haupthand anzusetzen ist (10. Jh.).

Buchstabenformen

fol. 1v:

Buchstabenformen: Es finden sich ein- und doppelstöckiges a.

Ligaturen: Der Schreiber verwendet häufig et-, or- und st-Ligaturen. An zwei Stellen wird eine ungewöhnliche ra-Ligatur verwendet, bei der die Fahne des r auf die Grundlinie gezogen und zu einem an ein beneventanisches cc-a erinnerndes a ausgebaut wird, bei dem der obere Teil des nach rechts auslaufenden Bogens nicht in einem Zug ausgeführt, sondern neu angesetzt wird (fol. 1v, Z. 3: coram und Z. 16: querantur).

Besonderheiten: Das Incipit wurde in Capitalisbuchstaben mit einzelnen unzialen Elementen geschrieben.

fol. 78v:

Buchstabenformen: Die ansonsten eher unauffällige Schrift weist als einzige Besonderheit ein häufiger verwendetes Majuskel-N im Wortinneren auf.

Ligaturen: Der Schreiber verwendet häufig et-, or- und st-Ligaturen sowie eine schlaufenähnliche us-Ligatur (z.B. manus, Z. 9).

Abkürzungen

Beide Schreiber verwenden insgesamt wenige und vorrangig herkömmliche Abkürzungen.

Gliederungsmerkmale

Fol. 1v: BK 139 c. 10 ist hier einzeln überliefert, weshalb sich über die Gliederung der Kapitelliste, die wahrscheinlich die Vorlage für die Kopie abgab, nichts sagen lässt. Es ist sogar nicht auszuschließen, dass auch die Vorlage nur dieses eine Kapitel enthielt, wobei dem Kopisten jedoch klar gewesen sein muss, dass er das 10. Kapitel einer umfangreicheren Liste vor sich hatte; vgl. die Überschrift am oberen Seitenrand vor der Rubrik: KAROLI cap[itulum] decimu[m] . Legis salicae LX. (teilweise durch Beschnitt der Seite beschädigt, aber gut lesbar); durch diese Überschrift wird das Kapitel zudem Karl (dem Großen) zugewiesen und als eine Erweiterung nicht der Leges allgemein, sondern speziell der Lex Salica interpretiert. Die Kapitelzählung als LX wird sich auf die Lex Salica Karolina beziehen, wo dieser Titel den Rachinburgi gewidmet ist (ed. Eckhardt 1962, S. 215). Das vorhandene Blatt scheint nicht aus dem Kontext einer ursprünglich umfangreicheren Kopie zu stammen: Der Text beginnt oben auf der Verso-Seite von fol. 1 und endet etwa in deren Mitte, der Rest der Seite blieb frei. Die Recto-Seite ist zu ca. 1/3 mit Glossen beschrieben (ed. Hänel 1849, S. 461), darunter folgen spätere Einträge, vor allem neuzeitliche Bibliotheksvermerke. Der Rest des Codex beinhaltet vornehmlich römisches Recht.

Fol. 78v: Auf der letzten Seite des Codex findet sich nochmals eine Kopie von BK 139 c. 10, die allerdings an manchen Stellen kaum bis gar nicht mehr lesbar ist, da sie stark abgerieben ist. Die Seite wurde zudem mit Chemikalien behandelt, um die Schrift besser sichtbar zu machen. Der Wortlaut des Textes entspricht - zumindest nach Ausweis der noch lesbaren Stellen - demjenigen auf fol. 1v. Auch der hier nach dem Kapitel stehende Text cp. legis salicę LX Karoli decimo stimmt im Wesentlichen mit der Überschrift der Kopie auf fol. 1v überein. Der Text ist auf den ersten fünf Zeilen eingerückt und bot somit wohl Platz für eine große Initiale, die aber offenbar nicht ausgeführt wurde.

Die Schriften beider Kopien sind paläographisch ungefähr derselben Zeit zuzuordnen wie der übrige Inhalt der Handschrift. Eine chronologische Reihenfolge zwischen ihnen lässt sich nicht sicher bestimmen. Fol. 1 scheint dem Codex als Vorsatzblatt hinzugefügt worden zu sein. Darauf weist das unregelmäßige und gegenüber dem Buchblock kleinere Format des Blattes hin. Ob die Kopie von BK 139 c. 10 schon vorher auf dem Blatt stand oder erst nachgetragen wurde, als es schon Bestandteil des Codex war, lässt sich nicht sicher sagen. Die Kopie auf fol. 78v ist hingegen sicher ein Nachtrag. Das Blatt hat ähnlich wie fol. 1 ein unregelmäßiges Format und ist etwas kleiner als der Buchblock. Die Verso-Seite zeigt eine missglückte Blindlinierung mit einer zu weit vom Seitenrand entfernten Versalienspalte. Die Recto-Seite wurde allerdings bis etwa zur Hälfte der Seite noch mit dem Ende der Appendix zur Lex Romana Visigothorum beschrieben und hat eine Blindlinierung, die dem Layout der vorangehenden Seiten angepasst ist und von dem der Verso-Seite abweicht. Der freigebliebene Rest der Recto-Seite wurde für den Nachtrag eines Gedichts genutzt. Vermutlich handelt es sich bei fol. 78 um einen Pergamentrest, der wie fol. 1 als Vorsatzblatt gedacht war, aber wegen Platzmangels doch noch für das Ende des Haupttextes verwendet werden musste. Die missglückte Blindlinierung auf der Verso-Seite war offenbar ursprünglich für einen anderen Text vorgesehen, bevor das Blatt zur Makulatur wurde; die Kopie von BK 139 c. 10 folgt ihr jedenfalls nicht, sondern nutzt die gesamte Breite der Seite. Aus diesem Befund wird ersichtlich, dass die Kopie erst dann eingetragen wurde, als das Blatt schon als letzte Seite des Codex fungierte.

Beide Kopien gehen entweder auf eine gemeinsame Vorlage zurück oder sind direkt voneinander abhängig. Eine Abhängigkeit der Kopie auf fol. 1 von derjenigen auf fol. 78 ist allerdings unwahrscheinlicher, da in letzterer die Rubrik De falsis testibus convincendis, soweit noch erkennbar, fehlt. Sie ist in der Kopie auf fol. 1v dem Text vorangestellt und entspricht im Wortlaut derjenigen des originalen Kapitulars, so dass es sich nicht um eine eigenständig vom Kopisten formulierte Rubrik handeln kann.

Sonstiges

In der Hs. Paris Lat. 18237, fol. 96bis recto, findet sich eine Abschrift (16. Jh.) der Kopie auf fol. 1v.

[fol. 1v] [1]
KAROLI capitulum1* decimum2* · Legis salicae LX ·  
DE FALSIS TESTIBVS CONUINCENDIS  
[BK 139 c. 10]
Si quis cum altero de qualibet causa contentionem habuerit .' et testes coram eo per iudicium producti fuerint · si ille falsos eos suspicatur .' liceat ei alios testes quos meliores potuerit contra eos opponere · ut ueracium3* testimonio4* peruersitas superetur ·,· Quod si ambae partes testium ita inter se dissenserint ut nullatenus una pars alteri cedere uelit .' eligantur duo ex ipsis id est ex utraque parte unus qui cum scutis et fustibus in campo decertent ·,· Utraque pars falsitatem utraque ueritatem suo testimonio sequatur ·,· Et campio qui uictus fuerit propter periurium quod ante pugnam commisit  .'5* dextram manum perdat ·,· Cęteri uero testes falsi .' manus redimant ·,· Cuius compositionis duę partes ei contra quem testati sunt .' dentur ·,· Tertia · pro fredo soluatur ·,· et hoc in secularibus causis ·,· In ecclesiasticis autem ubi6* de una parte seculare7* de altera uero8* ecclesiasticum negotium est .' idem modus9* seruetur ·,· Ubi tamen ex utraque parte ecclesiasticum fuerit .' rectores ecclesiarum si pacificari possunt · licentiam habeant ·,· Si autem hoc definire non possit10* .' aduocati eorum in mallo ad presentiam comitis ueniant et ibi legitimus terminus eorum contentionibus11* imponatur ·,· Testes uero de qualibet causa nisi de ipso comitatu in quo res unde causa agitur positae sunt .' non querantur .' quia non est credibile ut de statu hominis uel possessione12* cuiuslibet · per alios melius ueritas agnosci possit quam per uicinantes ·,· Si tamen contentio quę inter eos exorta est · in confinio duorum fuerit commitatuum .' liceat eis de uicina centena adiacentis comitatus ad causam suam testes habere ·,·  
1*
gek. cap
2*
Erkennbar ist nur decimu, ein wahrscheinlich ursprünglich vorhandener Kürzungsstrich für die Endung -m ist wohl durch den Beschnitt der Seite verlorengegangen.
3*
korr. aus ueratium
4*
korr. aus testimonium
5*
 .' ergänzt
6*
Über u ein getilgter Kürzungsstrich.
7*
korr. aus siulare
8*
korr. aus utem
9*
gek. mod
10*
gek. poss
11*
korr. aus tontentionibus
12*
korr. aus possessionem
[Nicht transkribierter Text]
[fol. 78v] [1]
[BK 139 c. 10]
[...​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​...] [conte]ntione [...​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​...] testes contra eum per iuditium producti fuerint ; [...​...] [...​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​...]tur liceat [.]i alios testes quos melio[...] [...​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​...] opponere · ut ueratium testimonium [...] [...​.​.​.​.​.​.​.​.​.​...] ambę partes testium · ita int[..] se dissenser[...] ut [.]ullatenus una pars alteri ced[ere] uelit · Eligantur duo ex ips[..] id est ex ut[raque] parte unu[.] ˙ qui cum scutis et fustibus in campo decertent · V[..]aque pa[..] falsita[...] utraque ueritatem suo testimonio sequatur · et campio[..] qui uictus fu[erit prop][...] periurium quod ante pugnam commi[.]it dextra[.] manu[.] perdat C[et]eri uero testes falsi manus [..]d[.]mant · cuius conpositi[....] partes ei contra [...​...]stati sunt dentur · tercia pro fredo solua[...​.​.​.​.​...]ularibus causis · In eclesiasticis autem ubi de un[.] parte secular[.] d[...​.​...] uero eclesiasticum neg[...]um est ˙ idem13* modus14* seruet[..] · Vbi tam[..] ex utraque parte eclesiasticum fuerit .' rectores e[...]siar[..] si pacificare pos[....] licentiam ha[..]ant [...​.​.​.​.​...] definire non poss[int] a[...]cat[...​.​.​.​.​.​.​...] ad presentiam comitis ueni[ant] [..] ibi legi[ti]mus terminus eorum contentioni[....]ponatur · Testes u[.] de qualibet causa nisi de ipso c[...]tat[...​.​.​.​.​.​...]de causa [.....]r pos[.....]nt non querantur [.] quia non est [...​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​.​...] homini[....] possessione cuiuslibet [...]ios meli[os] [...​.​...] agnosci possit quam [.] uiciniores [.] Si tamen contentio quę inter eos exorta est in confinio duorum · fuerit commitatum · liceat eis de ui[ci][..]c[en]t[en]a adia[centis] comitatus · ad causam suam testes hab[...]  
13*
gek. ide
14*
gek. mod
capitulo15* legis salicę LX Karoli · decimo ·16*  
15*
gek. cp
16*
Der Rest der Seite ist frei geblieben.