Paris, Bibliothèque nationale de France, Lat. 4419
Beschreibung der Handschrift nach Trump
Aufbewahrungsort
ParisBibliothèque nationale de France
Lat. 4419
Entstehung und Überlieferung
Entstehung:
10. Jh., Frankreich (Hänel, Liebs); 10. Jh. (Mommsen, Meyer); 9./10. Jh. (Bischoff/Mentzel-Reuters); Ende 9./Anfang 10. Jh., Sens (Ganivet)
Provenienz:
Petrus Capetius, Jacques Cujas und die Gebrüder Pierre und François Pithou haben den Codex benutzt; alte Signaturen: Colbert 3606; Regius 5942.3.3
Anmerkung:
Die Handschrift ist in Mordek 1995 nicht verzeichnet. Zum "Neufund" der Teilüberlieferung auf fol. 1v vgl. Bibliotheca legum.
Äußere Beschreibung
Material: | Pergament |
---|---|
Umfang: | 78 foll. |
Zeilen: | 34 |
Spalten: | 1 |
Schrift: | karolingische Minuskel |
Ausstattung: |
rote Überschriften in Capitalis rustica, Initialen in Texttinte; rote Titelnummern und Überschriften, ab fol. 74r nur noch Verwendung von Texttinte |
Einband: |
brauner Ledereinband; 1971 restauriert |
Inhalte
Bibliographie
Projektspezifische Referenzen:
- Hänel 1849, S. LXXXII
- Delisle 1868-1881, Bd. 2 S. 348
- Mommsen 1905, Bd. 1 S. CII; Bd. 2 S. LXII
- Werner K 1986
- Mentzel-Reuters 1997, Fiche 31, 7.56 (S. 18), Fiche 34, 3.17 (S. 93)
- Liebs 2002, S. 112 Anm. 110, 115 Anm. 126, 141 Anm. 103, 142 Anm. 106, 249 f. mit Anm. 641
- Dubreucq 2008, S. 166
- Ganivet 2008, S. 299 Anm. 78, 301 Anm. 89
- Hartmann 2008, S. 325
- Siems 2008, S. 121 Anm. 69
- Coma Fort 2014, S. 333-335
- Tischler 2020, S. 123 Anm. 106
- Trump 2021a
- Coumert 2023, S. 262
- Bibliotheca legum regni Francorum manuscripta, Karl Ubl (Hrsg.) unter der Mitarbeit von Dominik Trump und Daniela Schulz, Köln 2012ff.
Transkription
Editorische Vorbemerkung zur Transkription
Transkriptionsvorlage: Die Transkription wurde erstellt nach einem hochauflösenden Farbdigitalisat auf Gallica und kollationiert am Original in der BnF am 30. September und 1. Oktober 2021.
Schreiber
Die hier transkribierten Einzelkapitel finden sich als Nachträge (?) auf fol. 1v und fol. 78v vor und nach dem eigentlichen Inhalt der Handschrift und sind jeweils - von zwei unterschiedlichen Kopisten - in einer karolingischen Minuskel geschrieben, die etwa zeitgleich mit oder nicht weit nach der Schrift der Haupthand anzusetzen ist (10. Jh.).
Buchstabenformen
fol. 1v:
Buchstabenformen: Es finden sich ein- und doppelstöckiges a.
Ligaturen: Der Schreiber verwendet häufig et-, or- und st-Ligaturen. An zwei Stellen wird eine ungewöhnliche ra-Ligatur verwendet, bei der die Fahne des r auf die Grundlinie gezogen und zu einem an ein beneventanisches cc-a erinnerndes a ausgebaut wird, bei dem der obere Teil des nach rechts auslaufenden Bogens nicht in einem Zug ausgeführt, sondern neu angesetzt wird (fol. 1v, Z. 3: coram und Z. 16: querantur).
Besonderheiten: Das Incipit wurde in Capitalisbuchstaben mit einzelnen unzialen Elementen geschrieben.
fol. 78v:
Buchstabenformen: Die ansonsten eher unauffällige Schrift weist als einzige Besonderheit ein häufiger verwendetes Majuskel-N im Wortinneren auf.
Ligaturen: Der Schreiber verwendet häufig et-, or- und st-Ligaturen sowie eine schlaufenähnliche us-Ligatur (z.B. manus, Z. 9).
Abkürzungen
Beide Schreiber verwenden insgesamt wenige und vorrangig herkömmliche Abkürzungen.
Gliederungsmerkmale
Fol. 1v: BK 139 c. 10 ist hier einzeln überliefert, weshalb sich über die Gliederung der Kapitelliste, die wahrscheinlich die Vorlage für die Kopie abgab, nichts sagen lässt. Es ist sogar nicht auszuschließen, dass auch die Vorlage nur dieses eine Kapitel enthielt, wobei dem Kopisten jedoch klar gewesen sein muss, dass er das 10. Kapitel einer umfangreicheren Liste vor sich hatte; vgl. die Überschrift am oberen Seitenrand vor der Rubrik: KAROLI cap[itulum] decimu[m] . Legis salicae LX. (teilweise durch Beschnitt der Seite beschädigt, aber gut lesbar); durch diese Überschrift wird das Kapitel zudem Karl (dem Großen) zugewiesen und als eine Erweiterung nicht der Leges allgemein, sondern speziell der Lex Salica interpretiert. Die Kapitelzählung als LX wird sich auf die Lex Salica Karolina beziehen, wo dieser Titel den Rachinburgi gewidmet ist (ed. Eckhardt 1962, S. 215). Das vorhandene Blatt scheint nicht aus dem Kontext einer ursprünglich umfangreicheren Kopie zu stammen: Der Text beginnt oben auf der Verso-Seite von fol. 1 und endet etwa in deren Mitte, der Rest der Seite blieb frei. Die Recto-Seite ist zu ca. 1/3 mit Glossen beschrieben (ed. Hänel 1849, S. 461), darunter folgen spätere Einträge, vor allem neuzeitliche Bibliotheksvermerke. Der Rest des Codex beinhaltet vornehmlich römisches Recht.
Fol. 78v: Auf der letzten Seite des Codex findet sich nochmals eine Kopie von BK 139 c. 10, die allerdings an manchen Stellen kaum bis gar nicht mehr lesbar ist, da sie stark abgerieben ist. Die Seite wurde zudem mit Chemikalien behandelt, um die Schrift besser sichtbar zu machen. Der Wortlaut des Textes entspricht - zumindest nach Ausweis der noch lesbaren Stellen - demjenigen auf fol. 1v. Auch der hier nach dem Kapitel stehende Text cp. legis salicę LX Karoli decimo stimmt im Wesentlichen mit der Überschrift der Kopie auf fol. 1v überein. Der Text ist auf den ersten fünf Zeilen eingerückt und bot somit wohl Platz für eine große Initiale, die aber offenbar nicht ausgeführt wurde.
Die Schriften beider Kopien sind paläographisch ungefähr derselben Zeit zuzuordnen wie der übrige Inhalt der Handschrift. Eine chronologische Reihenfolge zwischen ihnen lässt sich nicht sicher bestimmen. Fol. 1 scheint dem Codex als Vorsatzblatt hinzugefügt worden zu sein. Darauf weist das unregelmäßige und gegenüber dem Buchblock kleinere Format des Blattes hin. Ob die Kopie von BK 139 c. 10 schon vorher auf dem Blatt stand oder erst nachgetragen wurde, als es schon Bestandteil des Codex war, lässt sich nicht sicher sagen. Die Kopie auf fol. 78v ist hingegen sicher ein Nachtrag. Das Blatt hat ähnlich wie fol. 1 ein unregelmäßiges Format und ist etwas kleiner als der Buchblock. Die Verso-Seite zeigt eine missglückte Blindlinierung mit einer zu weit vom Seitenrand entfernten Versalienspalte. Die Recto-Seite wurde allerdings bis etwa zur Hälfte der Seite noch mit dem Ende der Appendix zur Lex Romana Visigothorum beschrieben und hat eine Blindlinierung, die dem Layout der vorangehenden Seiten angepasst ist und von dem der Verso-Seite abweicht. Der freigebliebene Rest der Recto-Seite wurde für den Nachtrag eines Gedichts genutzt. Vermutlich handelt es sich bei fol. 78 um einen Pergamentrest, der wie fol. 1 als Vorsatzblatt gedacht war, aber wegen Platzmangels doch noch für das Ende des Haupttextes verwendet werden musste. Die missglückte Blindlinierung auf der Verso-Seite war offenbar ursprünglich für einen anderen Text vorgesehen, bevor das Blatt zur Makulatur wurde; die Kopie von BK 139 c. 10 folgt ihr jedenfalls nicht, sondern nutzt die gesamte Breite der Seite. Aus diesem Befund wird ersichtlich, dass die Kopie erst dann eingetragen wurde, als das Blatt schon als letzte Seite des Codex fungierte.
Beide Kopien gehen entweder auf eine gemeinsame Vorlage zurück oder sind direkt voneinander abhängig. Eine Abhängigkeit der Kopie auf fol. 1 von derjenigen auf fol. 78 ist allerdings unwahrscheinlicher, da in letzterer die Rubrik De falsis testibus convincendis, soweit noch erkennbar, fehlt. Sie ist in der Kopie auf fol. 1v dem Text vorangestellt und entspricht im Wortlaut derjenigen des originalen Kapitulars, so dass es sich nicht um eine eigenständig vom Kopisten formulierte Rubrik handeln kann.
Sonstiges
In der Hs. Paris Lat. 18237, fol. 96bis recto, findet sich eine Abschrift (16. Jh.) der Kopie auf fol. 1v.