Sankt Paul im Lavanttal, Stiftsbibliothek, 4/1
Beschreibung der Handschrift nach Mordek
Aufbewahrungsort
Sankt Paul im LavanttalStiftsbibliothek
4/1
Entstehung und Überlieferung
Entstehung:
9. Jh., 1. Drittel (nach 816 bzw. 818/819 und 825) (Mordek), 8./9. Jh. (Bischoff); Oberitalien (Aquileia?1* Nach Bischoff in demselben Skriptorium entstanden wie die unten angeführte Kanoneshs. Vatikan Barb. Lat. 679).
Provenienz:
Provenienz: Andreas Adolph von Krufft, Hofrat an der geheimen Haus-, Hof- und Staatskanzlei in Wien († 16. XI. 1793) (in der älteren Literatur oft Kruf[f]t[i]sche Hs. genannt). Die verbreitete Ansicht, Fürstabt Martin Gerbert von St. Blasien († 13. V. 1793) habe die Hs. aus Kruffts Nachlaß gekauft (Hänel, Merkel, Krusch), ist chronologisch auszuschließen; wahrscheinlich erhielt Gerbert die Hs. (leihweise?) zu Lebzeiten seines Freundes. Infolge der Säkularisation kam sie mit Konvent und Bibliothek nach St. Paul. Alte Signaturen: 25.4.8; XXV. a. 4.
Äußere Beschreibung
Material: | Pergament |
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Umfang: | 184 foll. |
Maße: | 302-305 × 193-197 mm |
Schriftraum: | ca. 220-230 × 155 mm |
Lagen: |
(III+1)7 + 15 IV127 + (IV-1)134 + 6 IV182 + I184
Kustoden: A (7v)
bis X (166v). Am oberen
Rand von fol. 74r der Name +diedo (Schreiber?).
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Zustand: | fol. 3 leichter Wasserschaden |
Zeilen: | 24-26, ab fol. 180v 26 |
Spalten: | zweispaltig, ab fol. 180v einspaltig |
Schrift: | karolingische Minuskel |
Schreiber: | mehrere Hände |
Ausstattung: |
Rubriken und Inskriptionen (Unziale, Capitalis) zeigen sich meist in Orange, foll. 159r-169r in dunkelbrauner bis schwarzer Texttinte, foll. 169v-180r in hellem Gelb, um nach fol. 180v fast ganz zu verschwinden. Mit den Farben des Frontispiz foll. lv-2r (von Hellgelb über Orange bis Rotbraun, Violett und Schwarz) sind auch die stilistisch verwandten Initialen (oft mit Vogelköpfen) und Capitaliszeilen am Anfang der einzelnen Leges und des Kapitularienteils ausgelegt, ebenso einige kleinere Initialen (Zusammenstellung bei Eisler). |
Einband: |
Neuer heller Ledereinband um Holzdeckel |
Inhalte
Anmerkung:
Den Kern (foll. 1v-169r) der fraglos oberitalienischen Sammlung konstituieren außer dem Langobardenrecht fast alle Leges, die im Völkergemisch des Regnum Italiae Beachtung finden konnten (Ribuaria, Salica, Baiuvariorum, Alamannorum, Burgundionum), dazu - erst spät vor der letzten Lex - etwas römisches Recht in Form einer Teilüberlieferung der Epitome Aegidii der Lex Romana Visigothorum. Eingeleitet wird dieser Kern von den Mantuaner Kapitularien (a. 813) mit den vorangesetzten Miniaturen, abgeschlossen von der wohl nur wenige Jahre älteren 92-Kapitel-Sammlung (foll. 154r-164v; siehe dort mehr) mit angefügten Kapitularien der Jahre 801, 816, 781 samt Kanonesexzerpt (foll. 165r-169r). Deren jüngstes Stück, Ludwigs des Frommen Capitula legi addita, datiert vom 1. November 816 und dürfte Terminus ante quem für die Entstehung der gesamten vorausgehenden Collectio legum et capitularium sein, nicht nur der 92-Kapitel-Sammlung. Wenig später erfolgte die Niederschrift der Blätter 1v-169r, wohl nachdem König Bernhard, dessen Name fol. 2r unterdrückt scheint (damnatio memoriae?), im Dezember 817 abgedankt hatte († 17. April 818).
Ludwigs des Frommen Kapitularien der Jahreswende 818/819 (foll. 169v-180r) sind von einer anderen Hand kopiert. Weitere Schreiber arbeiteten am Ende des Codex (foll. 180v-184r mit den Olonneser Kapitularien Lothars I. von 822/823 und 825 samt Zusatz und dem Indiculus eorum qui sacramentum fidelitatis iuraverunt), alle in Oberitalien. Cod. St. Paul 4/1 gehört damit zu den seltenen Handschriften, an denen die sukzessive Ergänzung ihrer Sammlungen paläographisch noch sichtbar ist. Zur Verwandtschaft der Collectio capitularium Sancti Pauli mit anderen italienischen Kapitulariensammlungen siehe bei Cod. St. Gallen 733. Zur Nachwirkung am Ende von Cod. Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Chig. F. IV. 75 siehe dort.
Bibliographie
Literatur:
- G. H. Pertz, in: Archiv der Gesellschaft für Ältere Deutsche Geschichtskunde 3 (1821-1822) S. 78-81
- Pertz G 1835, S. XXII
- Pardessus 1843, S. LXIV
- Baudi di Vesme 1855, S. CVI-CIX und Sp. 444-446
- Merkel 1858, S. 574-577
- MGH LL 3 (1863), S. 7, 188, 514
- Boretius 1864, S. 29-32, 187 f.
- MGH LL 5 (1875-1889), S. 199
- Clemen 1890, S. 72-74
- R. Eisler, Die illuminierten Handschriften in Kärnten (Beschreibendes Verzeichnis der illuminierten Handschriften in Österreich 3, Leipzig 1907) S. 100-102 Nr. 56
- Besta 1923, S. 245 Anm. 1
- Krusch 1924, S. 80 ff.
- Goldmann 1928, S. 112-119 (S. 114 f. briefliche Mitteilung Karl von Amiras)
- Schramm 1928, S. 52 f.
- de Clercq C 1936, S. 160 Anm. 3, S. 229 Anm. 1
- Buchner 1940, S. 74-78
- Eckhardt K 1954, S. 28
- O. Homburger, Ein vernichtetes Denkmal merowingischer Buchkunst aus frühkarolingischer Zeit, der «Rachio-Kodex» der Bongarsiana, in: Festschrift Hans R. Hahnloser zum 60. Geburtstag, hg. von E. J. Beer - P. Hofer - L. Mojon (Basel - Stuttgart 1961) S. 192 f. mit Anm. 26-29 (auf S. 204 f.)
- Holter 1965, S. 80, 93
- B. Bischoff, Kreuz und Buch im Frühmittelalter und in den ersten Jahrhunderten der spanischen Reconquista, in: ders., Mittelalterliche Studien 2 (Stuttgart 1967) S. 290
- Patetta 1967i, S. 727 (dazu die Rezension von A B. Schmidt, in: ZRG Germ. Abt. 16 [1895] S. 259)
- K. Holter, Die Bibliothek. Handschriften und Inkunabeln, in: Die Kunstdenkmäler des Benediktinerstiftes St. Paul im Lavanttal und seiner Filialkirchen, bearb. von K. Ginhart (Österreichische Kunsttopographie 37, Wien 1969) S. 360
- Mordek 1975, S. 132 f.
- Bischoff 1981, S. 34
- B. Bischoff, Die Rolle von Einflüssen in der Schriftgeschichte, in: Paläographie 1981. Colloquium des Comité International de Paléographie. München, 15.-18. September 1981, hg. von G. Silagi (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 32, München 1982) S. 97 f.
- Schramm 1983, S. 152
- G. Schmitz, Rezension zu Kerff, Quadripartitus, in: ZRG Kan. Abt. 70 (1984) S. 413 f.
- Mordek 1986a, S. 41 Anm. 86
- Kottje 1986, S. 20
- Bühler A 1986, S. 343 f. u. ö.
- Kottje 1987, S. 373
- Mordek 1988, S. 81 Anm. 60
- McKitterick 1989, S. 46, 49 Tab. A, S. 59
- Schatzhaus Kärntens. Landesausstellung St. Paul 1991. 900 Jahre Benediktinerstift, 1: Katalog (Klagenfurt 1991) S. 128 f. (P. H. Pascher)
- Mordek 1994c, S. 547-555
- Mütherich 1994, S. 84-86
- Mordek 1995a, S. 1005-1018
Kataloge:
- Catalogus codicum manuscriptorum ex monasteriis S. Blasii in nigra silva et Hospitalis ad Pyrhum montem in Austria nunc in monast. S. Pauli in Carinthia, S. 3 (handschriftlicher Katalog)
Abbildungen:
- Eisler, Die illuminierten Handschriften in Kärnten, S. 100 Fig. 54-55 (foll. 1v, 2r) S. 101 Fig. 56-57 (foll. 95v [Ausschnitt], 116v)
- Krusch 1927, Taf. I-VI (foll. 1v, 116v, 119r, 122r, 183v, 184r)
- Homburger, Ein vernichtetes Denkmal, S. 195 Abb. 10 (fol. 1v) und S. 200 Abb. 16 (fol. 2r)
- Holter 1965, S. 83 Abb. 23 -26 (Ausschnitte einzelner Seiten mit Initialen)
- K. Holter, Die Bibliothek, S. 365 Abb. 506, 507 (foll. 1v, 2r)
- Schramm 1983, S. 286 Abb. 10 (fol. 1v)
- Kerff 1982, Frontispiz (fol. 1v, in Farbe)
- Schatzhaus Kärntens, Abb. 7.3 auf S. 128 und 129 (foll. 1v und 122r)
- Mordek 1994c, Taf. I und IVa-c nach S. 556 (fol. 1v und Ausschnitte von foll. 117v, 10v, 136r)
- Mütherich 1994, S. 84 Abb. 7 (fol. 1v)
- Mordek 1995a, Taf. VI und VIII (foll. 1v, 2r)
Projektspezifische Referenzen:
- Gontrum 1993, S. 52-68
- Mordek 1995, Nr. 5934, S. 685-695
- Glaßner 2002
- Pohl 2003, S. 428
- Crivello 2004, S. 174 Anm. 13
- Pani 2006, S. 52-53 [mit Abb. S. 53 (foll. 1v, 2r)]
- Macht des Wortes. Benediktinisches Mönchtum im Spiegel Europas. Beiheft zur Sonderausstellung in der Stiftung Kloster Dalheim. LWL-Landesmuseum für Klosterkultur vom 2. Juli bis zum 30. Dezember 2011 (Münster 2011), S. 23 [mit Abb. (foll. 1v, 2r)]
- Bischoff 2014, S. 342, Nr. 5934
- Esders 2015, S. 16 f.
- Friedrich 2015, S. 191-193
- Hermann 2017, S. 106-107
- Pani 2022, S. 25f.
- Coumert 2023, S. 14, 139, 344, 372-376, 379, 380, 387
- Bibliotheca legum regni Francorum manuscripta, Karl Ubl (Hrsg.) unter der Mitarbeit von Dominik Trump und Daniela Schulz, Köln 2012 ff.
Transkription
Editorische Vorbemerkung zur Transkription
Transkriptionsvorlage: Die Transkription wurde erstellt nach einem hochauflösenden Farbdigitalisat, das auf der Internetseite des Projektes "Carolingian Culture at Reichenau and St. Gall" zugänglich ist.
Zur Handschrift
Die Lokalisierung der Handschrift ist unsicher; nach Bischoff Oberitalien (Aquileia?), auch der Südosten Frankreichs (Pani 2006, S. 52) und Rätien (Pohl 2003, S. 428) wird in der Forschung diskutiert. Nach den jüngsten Studien von Esders/Haubrichs vermutlich in der Emilia Romagna entstanden, die Nachträge könnten nach Bassetti in Bobbio oder einem anderen Kloster der Region hinzugefügt worden sein (Esders 2022).
Schreiber
An der Entstehung der Handschrift waren mehrere Schreiber beteiligt, die höchstwahrscheinlich einer gemeinsamen Schreibschule zuzurechnen sind (Buchner 1940, S. 75). Die Vertauschungen von b/u bei den Schreibern des letzten, jüngeren Teils ab fol. 169v (z.B. persolbant (von Korrekturhand 2 korr. zu persoluant), fol. 176ra, vorletzte Zeile oder hauere, fol. 181r, letzte Zeile) deuten auf eine romanische Herkunft der Schreiber hin.
Foll. 166rb-167vb: Dieser Teil wurde von einer Hand (A) geschrieben. Korrekturhand 1 ergänzte lediglich einige Worte in hellerer Tinte am Ende von fol. 166rb.
Foll. 169va-180rb: Die Kapitularien Ludwigs des Frommen von 818/19 sind von einer anderen Hand (B) geschrieben als der vorangehende Teil. Die Schrift erscheint hier schwerfälliger und unregelmäßig mit z.T. sich nach oben hin verdickenden Schäften. Der Schreiber vergisst oft das zweite r bei den Formen von proprius und proprietas. Ab fol. 169vb finden sich Korrekturen in dunklerer Tinte von Korrekturhand 2. Evtl. verglich der Korrektor den Text mit einer Überlieferung der Collectio des Ansegis, die der Handschriftengruppe D (Reimser Gruppe) zuzurechnen wäre; siehe z.B. BK 139 c. 10 mit der Ergänzung von eos (...si ille falsos eos esse...) und den Zusatz in BK 140 c. 5: (de nutrimine) nonae et decimae (persoluantur) (fol. 176ra, Z. 1; vgl. Schmitz G 1996, S. 273, Leitvarianten Buch 4, zu Ans. 4, 38). Der Korrektor ergänzte auch Interpunktionszeichen und Caudae bei e-caudata; da sich diese Modifikationen im Einzelfall aber nur schwer Hand B oder Korrekturhand 2 zuordnen lassen, wurden sie kommentarlos mittranskribiert.
Foll. 180v-183v: Ab fol. 180v wechselt der Schriftspiegel von zuvor zwei Kolumnen zur Langzeile; es schreiben mehrere neue Hände. Zunächst wurde die Memoria Olonnae comitibus data (BK 158) von einer Hand (C) kopiert (fol. 180v-181r). Die daran anschließende Kopie von c. 5 der Capitula per se scribenda (BK 140) wurde wiederum von anderer Hand (D) geschrieben (ab fol. 181r, Z. 17). Das Schriftbild von Hand D wirkt insgesamt unruhiger; die Schrift ist leicht nach rechts geneigt und benutzt die Blindlinierung nur als grobe Orientierung. Der Schreiber schreibt propietas ohne das zweite r (wie Hand A) und oft distrigere ohne n. Dieselbe Hand scheint auch das Capitulare Olonnense mundanum (BK 165) auf foll. 182r-183r kopiert zu haben. Nach Bassetti (in Esders 2022) stammen die Kopien von BK 158 und BK 140 c. 5 von derselben Hand; den Wechsel zu einem neuen Schreiber setzt er erst bei fol. 182r (BK 165) an.
Fol. 184r: Die Eidliste (BK 181) wurde wieder von einer anderen Hand (E) geschrieben, die eine karolingische Minuskel verwendet, bei der das g auffällig ist, dessen unterer Bogen mal geschlossen, mal offen ist. Hinzu kommt ein in Ligaturen hoch aufragendes und zudem unter die Zeile reichendes r. Ein Handwechsel innerhalb der Liste ist nicht anzunehmen. Vgl. hierzu auch Esders 2022.
Buchstabenformen
Foll. 166rb-167vb:
Einzelbuchstaben: Die Haupthand (A) verwendet cc-a und einstöckiges a parallel. Die gelegentlich auftauchende i-longa hat eine weit nach unten ausgezogene Unterlänge, die nach links umgebogen wird. R hat Majuskelform.
Ligaturen: Es werden ct- und es-Ligaturen mit Überschlag verwendet. Diese Art der Verbindung findet sich auch gelegentlich bei er (z.B. fol. 166va Z. 14), en (z.B. fol. 166vb Z. 10, 12) oder ex (z.B. fol. 167va Z. 16).
Besonderheiten: Als Auszeichnungsschrift wird eine Capitalis mit unzialen Elementen eingesetzt.
Foll. 169va-180rb:
Einzelbuchstaben: Der Schreiber (B) verwendet doppelstöckiges a. Am Wortbeginn wird gerne unziales D geschrieben, ansonsten gerades d. Er schreibt ein rundes g mit offenem unteren Bogen. Häufig findet sich auch i-longa am Wortbeginn und in der Wortmitte. Vereinzelt begegnet ein rundes s im Wort (fol. 176ra, Z. 2 f.: restauratione).
Ligaturen: Außer der häufig verwendeten et-Ligatur weist die Schrift kaum Ligaturen auf; gelegentlich findet sich eine ct-Ligatur mit Überschlag, gerne auch zwischen Wörtern, die nicht zusammen gehören, z. B. fol. 175vb, Z. 7 zwischen hanc und tenet. Regelmäßige Verwendung der NT-Ligatur am Wortende.
Besonderheiten: Als Auszeichnungsschrift wird eine Unziale verwendet.
Foll. 180v-183v:
Einzelbuchstaben: a ist einstöckig. Das gerade s hat fast keine Unterlänge. Hand C verwendet kleine, auf das Mittelband konzentrierte Buchstaben mit sehr geraden Schäften. Die Fahne des r verlängert er wellenförmig nach oben. Bei Hand D hat das c gelegentlich einen Aufsatz (fol. 182v, Z. 6: comite). Am Satzanfang verwendet er gerne unziales D. Das Minuskel-e ist überwiegend mit zwei aufeinandergesetzten Bögen gestaltet, besonders in Ligaturen. Häufige Verwendung von i-longa. Einmal Bogen-r mit einer Cauda wie bei Majuskel-R am Wortende (fol. 182r, letzte Zeile: infirmetur). Die Fahne des s ist sehr kurz und kaum gebogen.
Ligaturen: Hand C und D verwenden häufig Ligaturen, z.B. ae-, ei-, er-, et-, NT-, ri-, ro-, st- sowie ti-Ligaturen; Hand E zusätzlich eine ss-Ligatur sowie an einer Stelle eine ungewöhnliche nt-Ligatur, bei der der zweite Schaft des n von einem diagonalen Strich durchkreuzt wird (fol. 182r, Z. 2: possint). Die Unterlänge bei ri-Ligaturen ist z.T. sehr weit nach links ausgezogen. Hand F verwendet gerne Ligaturen mit r, daneben ist die st-Ligatur zu beobachten.
Abkürzungen
Foll. 166rb-167vb: Es werden nur wenige und ausschließlich Standardkürzungen verwendet; Kürzungszeichen ist ein einfacher Strich.
Fol. 169va-180rb: Der Schreiber verwendet außer dem Nasalstrich am Wortende kaum Kürzungen. Als Kürzungszeichen fungieren in den Rubriken z.T. 2-3 übergeschriebene Punkte (z.B. fol. 170va vorletzte Zeile: AGENTEM, fol. 170vb Z. 9: POTESTATEM (jeweils über dem letzten E).
Foll. 180v-183v: Auch in diesem Teil finden sich nur Standardkürzungen und Nasalstrich am Wortende. Hand D benutzt oft eine -r(um)-Endungskürzung, bei der die Fahne des r nach rechts unten gezogen und von einem diagonalen Strich gekreuzt wird.
Gliederungsmerkmale
Foll. 166rb-167vb: Die fünf Kapitel von BK 134 stehen hier im Kontext eines Anhanges zu einer Sammlung von 92 Kapiteln, die Kapitularien Karls des Großen und Pippins von Italien enthält; vgl. Mordek 1995, S. 686, 688. Die in diesem Anhang enthaltenen Kapitel werden jeweils mit CAP. und einer Rubrik sowie einer über zwei Zeilen reichenden, meist ausgerückten Initiale in Texttinte eingeleitet. Eine durchgehende Nummerierung existiert nicht. Obwohl die Kapitel von BK 134 sich nicht eindeutig als eine zusammengehörige Einheit von den übrigen Kapiteln abheben, deuten zwei Indizien wenigstens darauf hin: Zum einen findet sich nur vor dem ersten Kapitel eine Rubrik (DE QUALIBET CAUSA, fol. 66rb, Z. 21, ohne vorangehendes CAP.), und diese beginnt mit einer vergrößerten Initiale, die sich von den übrigen abhebt, so dass sie als Überschrift für mehrere folgende Kapitel gedeutet werden kann. Zum anderen wird das zweite Kapitel als cap. II bezeichnet (die übrigen Kapitel sind nicht nummeriert). Die anschließende Kopie von BK 90 beginnt zudem wieder neu mit cap. I.
Foll. 169va-175rb: Die erste Zeile der Überschrift des gesamten Kapitulars BK 139 (INCIPIUNT CAPITULA ...) reicht über beide Textspalten und leitet damit sichtbar ein separates Stück ein. Wie die Überschriften der einzelnen Kapitel ist auch sie in oranger Auszeichnungsschrift geschrieben. Der Text der einzelnen Kapitel wird durch die Kapitelnummer in römischen Zahlen und eine vergrößerte Anfangsinitiale (beides in der Regel ebenfalls in oranger Tinte) eingeleitet. Bei der Umsetzung dieser Grundstruktur sind dem Schreiber an zwei Stellen Fehler unterlaufen: Die Überschrift von c. VIII wurde irrtümlicherweise als eigenes Kapitel gezählt, so dass die folgenden Kapitelzahlen jeweils um eins zu hoch angesetzt sind. Auch bei c. XV (= BK 139 c. 14) sind Rubrik und Kapitelinhalt optisch durcheinandergeraten: Zu Beginn der Überschrift steht die Kapitelzählung, die mit einer Anfangsinitiale eingeleitet wird (beides in Orange), während der Rest der Überschrift nicht in orangefarbiger Auszeichnungsschrift, sondern in normaler Minuskel in Texttinte geschrieben ist - die Überschrift wurde also hier nach demselben Muster wie ein Kapitelanfang gestaltet. Allerdings beginnt der Schreiber den dann folgenden eigentlichen Text wiederum mit einer (wenn auch nicht farblich hervorgehobenen) Initiale, was darauf hindeutet, dass ihm während des Schreibvorgangs auffiel, dass er sich hierbei vertan hatte.
Auf fol. 180r befindet sich eine weitere Kopie von BK 139 c. 18, das dort allerdings als c. XXVIIII einer anderen Kapitelliste firmiert. Die Liste beginnt auf fol. 177ra und trägt die Überschrift: LEGATIO OMNIUM MISSORUM NOSTRORUM (fol. 177ra Z. 1-2). Sie setzt sich zusammen aus verschiedenen Kapiteln des Capitulare missorum von 818/19 (BK 141) (cc. I-XXVI = BK 141 cc. 1-8, 10, 9, 12-16, 18, 19, 17, 20-28; in dieser Reihenfolge) sowie aus BK 140 c. 3 (unvollständig) und BK 139 c. 18 als den beiden letzten Kapiteln (cc. XXVIII-XXVIIII).
Foll. 175rb-180ra: In der Kopie von BK 140 fehlt c. 3, so dass die Zählung ab c. 4 = III um eins zu niedrig ist. Allerdings springt die Nummerierung nach BK 140 c. 6 = V zu BK 140 c. 7 = VII, so dass die Zählung der letzten beiden Kapitel wieder korrekt ist. Das hier fehlende c. 3 erscheint separat als c. XXVIII der im Anschluss folgenden Kapitelliste (BK 141). Der letzte Teil von BK 140 c. 7 (unde - placuerit) ist in orangeroter Tinte und Auszeichnungsschrift wie die Rubrik zu dem folgenden Kapitel 8 gestaltet. Korrekturhand 2 hat in karolingischer Minuskel und mit schwarzer Tinte den Text darüber wiederholt, wohl um anzuzeigen, dass er noch zum Schluss des vorigen Kapitels gehört. Bei BK 141 werden cc. 1 und 2 sowie 5 und 6 zusammengezogen, so dass die Nummerierung im folgenden jeweils um 1 bzw. (ab c. V) um 2 zu niedrig angesetzt ist. Die Reihenfolge von cc. 9 und 10 ist vertauscht. BK 141 c. 11 fehlt, der zweite Teil von c. 12 (ab de homicidiis prohibendis) ist in einem neuen Kapitel mit c. 13 zusammengefasst. C. 17 folgt erst nach c. 19; die korrekte Reihenfolge wird durch ein Einfügungszeichen in Form eines Obelus angezeigt, der sich sowohl vor c. XIIII = BK 141 c. 19 (fol. 178v) als auch vor c. XVI = BK 141 c. 17 (fol. 179r) findet. C. 25 ist auf zwei Kapitel aufgeteilt (cc. XXII und XXIII). Ein c. XXVII existiert nicht, da die Zählung von c. XXVI (= BK 141 c. 28) zu XXVIII (= BK 140 c. 3) springt.
Foll. 180v-183v: Die Memoria Olonnae comitibus data (BK 158) beginnt mit einer Überschrift in einer eigenen Zeile, die sich optisch nicht vom übrigen Text abhebt. Die einzelnen Kapitel werden durch Absätze und eine am Rand vorangestellte Nummerierung in Texttinte strukturiert. Vor c. I steht am Rand ein verziertes Tatzenkreuz, das vermutlich vom Schreiber selbst stammt und nicht von dem späteren Benutzer, der einzelne Stellen mit einfachen Kreuzen markierte (s.u.). Das anschließende c. 5 der Capitula per se scribenda (BK 140), kopiert von anderer Hand (D), beginnt in neuer Zeile ohne Zählung; die Rubrik (De nonis et decimis) steht in derselben Zeile wie der Kapiteltext und ist nicht hervorgehoben. Danach blieb etwa die Hälfte des Foliums frei; die nachfolgende Kopie des Capitulare Olonnense mundanum (BK 165) setzt erst auf dem folgenden Folium 182r ein. Hierbei wurden alle Kapitel ohne Absätze in einem Textblock geschrieben, wobei die Kapitelanfänge gut sichtbar durch eine jeweils mit CAPL eingeleitete Zählung (in Texttinte) hervorgehoben sind. Zusätzlich sind einige Anfangsmajuskeln im Text etwas vergrößert und mit breiterem Strich ausgeführt.
Fol. 184r: Die Eidliste (BK 181) ist in insgesamt vier voneinander durch Tintenstriche abgetrennte Spalten unterteilt. Die Trennstriche folgen der Länge der eingetragenen Namen und sind deswegen nicht gerade gezogen worden. Die erste Spalte ist zudem breiter angelegt als die übrigen. Als quasi fünfte Spalte kommen ganz am rechten Rand der Seite durch Tintenstriche gerahmte Abschnitte hinzu, in denen ebenfalls Namen stehen, die teilweise aber mit mehreren Zeilen Abstand voneinander folgen. Das Erscheinungsbild der Seite lässt insgesamt eine sukzessive Entstehung der Liste annehmen. Vgl. hierzu auch Esders 2015.
Benutzungsspuren
Notazeichen auf fol. 174vb in Z. 17, im freigebliebenen Raum nach Ende von c. XX (= BK 139 c. 19), das die Form eines Kreuzes mit Serifen an den Enden hat, sowie auf fol. 175va auf Höhe von BK 140 c. 2, das an eine spiegelverkehrte hic-Note bzw. eine umgedrehte insulare h-Sigle erinnert. Im Spaltenzwischenraum auf fol. 178v auf Höhe des Beginns von c. XIIII = BK 141 c. 19 sowie am oberen Seitenrand zu Beginn von c. XVI = BK 141 c. 17 findet sich ein Notazeichen in Form eines Obelus, das offenbar die verschobene Position von c. 17 anzeigen soll; siehe dazu oben unter "Gliederungsmerkmale".
Bei den offenbar später nachgetragenen Kopien auf foll. 180v-183v hat ein späterer Benutzer mit blasserer Tinte einzelne Kapitel mit Kreuzen markiert. Außerdem finden sich vereinzelt Markierungen und interlineare Lesehilfen in Blei, z.B. fol. 180v, Z. 2 über der Kürzung si lib: si liber. Auf fol. 180v am unteren Seitenrand eine Notiz mit dünnerer Feder (evtl. nur eine Federprobe?): omicidium.
Sonstiges
Pergamentschäden: Ein kleiner, gekerbter Riss oder Einschnitt im Pergament, der sich durch die Folia 170 bis 172 gegraben hat, ist dort jeweils vor (recto) bzw. hinter (verso) der 5. Zeile sichtbar; der Text ist davon lediglich auf fol. 171v geringfügig beschädigt worden. Auf den foll. 167, 171-173, 175 sowie 180 weist das Pergament mehrere kreisrunde Löcher auf, die bereits bei der Bearbeitung des Pergaments entstanden sein müssen, weil die Schrift ihnen ausweicht. An manchen Stellen ist die Tinte teilweise abgerieben (z.B. auf fol. 167ra, erste Zeile: qua-), doch die Schrift bleibt hinreichend gut lesbar. Auf fol. 181v hingegen ist die Schrift der ersten beiden Zeilen fast vollständig abgerieben, so dass es hier zu Textverlust kommt. Fol. 184 weist mehrere Pergamentfalten auf, durch die gerade im unteren Bereich mehrere Buchstaben nicht mehr oder nicht sicher gelesen werden können. Da es sich um das letzte Blatt des Codex handelt, das stärker beansprucht wurde, ist die Tinte teilweise verblasst, was das Entziffern erschwert.