Leiden, Bibliotheek der Rijksuniversiteit, VLQ 119
Beschreibung der Handschrift nach Mordek
Aufbewahrungsort
LeidenUniversiteitsbibliotheek
VLQ 119
Entstehung und Überlieferung
Entstehung:
9. Jh., 4. Viertel (foll. 1-119), und 10. Jh., Anfang (foll. 120-141); aus der Gegend von Paris (Mordek); 9./10. Jh. (10. Jh., Anfang?)(foll. 1-119), vielleicht südwestliches Frankreich (Bischoff).
Provenienz:
Die Handschrift wurde um das Jahr 1000 in Chartres benutzt, war im 16./17. Jh. im Besitz von Paul Petau (Signatur: T 38) und Alexandre Petau (Nr. 1111) und kam dann, wohl über Königin Christine von Schweden, an Isaac Vossius (Katalognr. 242) und Gerhard Vossius (Katalognr. 239 bzw. 238). Seit 1690 in Leiden: Scidula n° 238; Katalog von 1716: Nr. 119.
Äußere Beschreibung
Material: | Pergament |
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Umfang: | 141 foll. |
Maße: | 220-222 × 170-175 mm |
Schriftraum: | 160-180 × 110 mm |
Lagen: |
14 IV112 + (IV-1)119 + 2 IV135 + (IV - 2)141
Kustoden: umpunktete Buchstaben von A (8v) bis L (88v), N (96v) bis P
(112v), R und XVII (127v); Quaternio M ging verloren.
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Zeilen: | 24-32 |
Spalten: | 1 |
Schrift: | karolingische Minuskel |
Ausstattung: |
Rubriken in Capitalis (oft unziale Buchstaben), mehrere größere Initialen mit Band- und Blattmuster, wie Text und Zahlen in hell- und dunkelbrauner Tinte |
Einband: |
Heller Pergamenteinband um Pappe (17. Jh.) |
Inhalte
Anmerkung:
„Diese außerordentlich wertvolle Rechtshandschrift“ (Krusch) bietet ein reiches Ensemble an römischem Recht (Teil der Constitutio Sirmondiana prima, Epitome Aegidii der Lex Romana Visigothorum), Leges (Salica, Ribuaria, Alamannorum, Baiuvariorum) und Kapitularien, darunter die umfangreichste Überlieferung der merowingischen Capitula legi Salicae addita (als Unikat das auf Aquitanien zielende Edikt Chilperichs I.), und geht teilweise mit dem altehrwürdigen Cod. Paris Lat. 4404 zusammen. Außerdem ist sie der einzige Textzeuge des Capitulare Aquitanicum von 768 und des Breviarium missorum Aquitanicum von 789.
Die Seltenheit der Quellen und die ungewöhnliche Fülle merowingischer Addenda zur Lex Salica lassen auf ein wohlunterrichtetes, mit Aquitanien in Verbindung stehendes Zentrum als Heimat der Sammlung schließen. Von dort sollten auch Königsboten ausgegangen sein, denn die auffallende Häufung von Capitularia missorum weist auf einen Missus als Urheber der Sammlung, der nicht nur ein besonderes Interesse für die herrscherliche Kontrollinstanz bekundete, sondern der vor allem auch in der Lage war, derart viele und z. T. singuläre Stücke zu kennen bzw. zusammenzutragen und zum Zweck dauerhafter Sicherung, vielleicht auch bequemerer Benutzbarkeit in einem handlichen Codex vereinen zu lassen. Ja, es gibt Indizien, die speziell auf Tours als Entstehungsort der in der Spätzeit Karls des Großen (nach 805) verfertigten Collectio Vossiana deuten: Tours liegt am Nordrand Aquitaniens, und seine Bischöfe und Äbte hatten beste Beziehungen zum Hofe. Die verwandte Rechtssammlung des Cod. Paris Lat. 4404 stammt aus (der Nähe von) Tours. Schließlich hat der Vossianus den selten überlieferten Brief Bischof Chrodeberts von Tours an Boba bewahrt, und zwar - gegenüber der Version in der Saint-Deniser Formelsammlung des Cod. Paris Lat. 2777 - in vielfach besserer Form und mit ursprünglicher Inscriptio und Intitulatio.
Gegenüber dem bedeutenden Inhalt tritt zurück, daß der Text der spätkarolingischen Handschrift in einem geradezu skandalösen Latein gehalten ist. Dies konnte seiner Beliebtheit selbst in neuerer Zeit keinen Abbruch tun: In den Druck Oxford, Bodleian Library, Junius 93 (Katalognr. 5204), einem Exemplar der Leges-Ausgabe des Johannes Tilius mit fehlendem Titelblatt, trug Franz Junius († 1677), der Onkel Isaac Vossius’, Varianten aus dem Vossianus ein. Eine Kopie der Lex Salica mit dem Edictum Chilperici, der Decretio Chlotharii I und der Decretio Childeberti II hat sich in Cod. Paris Lat. 10755 (olim Suppl. Lat. 1046) vom Jahr 1839 oder 1840 erhalten (54 foll., nur auf der recto-Seite beschrieben) (vgl. Pardessus, Loi Salique, S. XXXIII; MGH Capit. 2, S. XXVI). Die Lex Salica und ihre Capitula addita (foll. 64r-88v) wurden von Alfred Holder nach der Handschrift übertragen und herausgegeben.
Bibliographie
Literatur:
- Pertz G 1839, S. 736-740
- Pardessus 1843, S. XXXIII-XXXIV
- Merkel 1858, S. 537-541
- MGH LL 3 (1863), S. 7, 184 f.
- MGH LL 5 (1875-1889), S. 201 f.
- A. Holder, Lex Salica emendata nach dem Codex Vossianus Q. 119 (Leipzig 1879) S. 59-63 (Textwiedergabe S. 1-58, mit Korrekturen nach S. 63)
- Tardif E 1895, S. 661 ff.
- Boretius 1897, S. XVII
- Mommsen 1905, Bd. 1, 1, S. CI
- Besta 1923, S. 240, 245 Anm. 1 (irrtümlich „ms. lionese Voss. Q. 19“)
- Krusch 1924, S. 44-47 (mit Korrekturen zu Boretius)
- de Clercq C 1936, S. 145 f., 198 f.
- Buchner 1940, S. 92 f.
- de Meyier 1947, S. 127
- Eckhardt K 1954, S. 27 f.
- Eckhardt W 1956, S. 500-504, 507
- Ganshof 1961, S. 30 Anm. 45, S. 82 Anm. 198
- Eckhardt W 1967, S. 3 f.
- Dolezalek 1972, Bd. 1
- Bühler A 1986, S. 343, 345 ff. u. ö.
- Kottje 1986, S. 21,23
- Mordek 1986a, S. 40 Anm. 82, S. 42 Anm. 99
- Kottje 1987, S. 373, 376
- Ch. van Wijnbergen - H. Zapp, Verzeichnis kanonistischer Handschriften in den Niederlanden (Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft 3, Würzburg 1988) S. 160 f.
- A. J. de Groot - E. C. C. Coppens, Manuscripta canonistica Latina. Elenchus codicum necnon diplomatum iuris canonici ante a. 1600 in bibliothecis ac archivis neerlandicis (Rechtshistorische reeks van het Gerard Noodt Instituut 14, Nijmegen 1989) S. 253 Nr. 869
- McKitterick 1989, S. 47, 49 Tab. A
- Siems 1989, S. 298
- Woll I 1995, S. 12 ff.
Kataloge:
Abbildungen:
- Bibliotheca Universitatis Leidensis. Codices manuscripti 16: Codices Vossiani Latini 4, bearbeitet von K. A. de Meyier und P. F. J. Obbema (Leiden 1984) Tab. 26 d (fol. lv, Ausschnitt)
Projektspezifische Referenzen:
- Mordek 1995, S. 210-217
- Bischoff 2004, S. 63, Nr. 2239
- Gravel 2007, S. 109-115
- Gravel 2012a, S. 297-305
- Glatthaar 2017, S. 10 u.ö.
- Coumert 2023, S. 14, 38, 51, 69, 73, 85, 92, 95 f., 99-102, 105-114, 128 f., 138 f., 162 f., 173, 178, 181, 195, 198 f., 272, 284, 289, 381-387, 389, 397, 401
- Innovating Knowledge Database
- Bibliotheca legum regni Francorum manuscripta, Karl Ubl (Hrsg.) unter der Mitarbeit von Dominik Trump und Daniela Schulz, Köln 2012 ff.
Transkription
Editorische Vorbemerkung zur Transkription
Transkriptionsvorlage: Die Transkription wurde auf Grundlage eines sehr guten Farbdigitalisates der Leidener Bibliothek angefertigt.
Zur Handschrift
Gravel 2007 sieht im Kapitularienteil der Handschrift (foll. 132-141) eine spezifische Zusammenstellung eines aquitanischen Missus. Die Sammlung habe zudem einen anderen Ursprung als die restlichen in diesem Codex bewahrten Rechtstexte, was er neben kodikologischen Beobachtungen damit begründet, dass zwar die anderen Rechtstexte mit der Handschrift Paris Lat. 4404 verwandt seien (vgl. Mordek 1995, S. 210, 457), dies aber nicht für die Kapitularien gelte. Für ihn ist die Sammlung etappenweise entstanden und geht nicht auf eine gemeinsame Vorlage mit dem Latinus 4404 zurück, die aus Tours stamme, und auf die die anderen Rechtstexte zurückgehen.
Schreiber
Laut des Katalogs von de Meyier 1975, S. 259 wurde die Handschrift von vier Schreibern geschrieben, nämlich foll. 1r-119v, Z. 8, foll. 120r-131v, fol. 132r-132v, Z. 19 und foll. 132v, Z. 20-141v. De Meyier deutet aber schon an, dass nach fol. 119v, Z. 8 wohl weitere Hände folgen, was auch Mordek 1995, S. 213-214 bestätigt und durch das Schriftbild ebenfalls bestärkt wird. Das auf fol. 119v von einer Hand des 10. oder 11. Jahrhunderts in karolingischer Minuskel im Anschluss an die Lex Baiuvariorum nachgetragene sechste Kapitel des Capitulare Wormatiense (BK 191) wurde daher von einer anderen Hand als derjenigen, die den Hauptteil des Codex schrieb, kopiert. Bei der Hand des darauf folgenden achten Kapitels des Konzils von Orléans (511) dürfte es sich ebenfalls um eine weitere handeln. Der Kopist von BK 134 auf foll. 140v-141v, der eine eine gut lesbare karolingische Minuskel verwendet und die Überschriften in Capitalis rustica verfasst, ist also nach de Meyiers Einteilung der vierte Hauptschreiber der Handschrift.
Auf foll. 140v-141r (BK 134 cc. 1-2) hat ein wohl relativ zeitnaher Korrektor den Text verbessert sowie Satzzeichen hinzugefügt und Buchstaben nachgezogen; mit Ausnahme der Textkorrekturen wurde dies nicht eigens vermerkt.
Buchstabenformen
Foll. 140v-141v:
Einzelbuchstaben: Gelegentliche Verwendung von Majuskel-N (fol. 141v, Z. 9) und i-longa.
Ligaturen: ligaturenarme Schrift; es finden sich nur st und zweimal eine NT-Ligatur (z.B. fol. 141r Z. 4 bei distulerint).
Abkürzungen
Foll. 140v-141v: Der Schreiber verwendet durchweg gängige Abkürzungen. Er kennt allerdings zwei Arten von Abkürzungsstrichen: Einmal einen waagerechten und einmal einen diagonalen Strich. Letzterer vor allem für -er bei propter.
Interpunktion
Foll. 140v-141v: Verwendet werden mehrheitlich periodi, daneben distinctiones mediae.
Gliederungsmerkmale
Foll. 140v-141v: Eine besondere optische Gestaltung von BK 134 ist nicht zu erkennen. Alles ist in Texttinte geschrieben, die Initialen sind nur durch ihre Größe herausgehobene Majuskeln. Eingeleitet wird das Kapitular mit einer Überschrift, die auf Ludwig den Frommen verweist (INCIP. CAPITULA DONI. LUDOUICI IMR.). Die ersten beiden Kapitel des Kapitulars sind nicht nummeriert, die restlichen drei aber schon und zwar korrekt mit III, IIII und V, die jeweils mit einem Incipit in einer eigenen Zeile stehen.
Benutzungsspuren
Foll. 140v-141v: Direkt neben BK 134 c. 1 auf fol. 140v steht am linken Rand ein monogrammartiges Nota-Zeichen, zudem sind die Worte una pars ueritatem utraque falsitatem unterstrichen.
Sonstiges
Foll. 140v-141v: Mordek 1995, S. 217 vermerkt, dass der Satz Si uel super compositionem aliquit remanserit . totum in illam expendatur am Ende des Kapitulars nach einer Leerzeile steht. Nicht angemerkt wird aber, dass ein Verweiszeichen darauf aufmerksam macht, dass er zum Text von BK 134 c. 5 gehört.
Auf fol. 141 befindet sich auf Höhe von Zeile 11 bzw. 12 ein kleines Loch, das zu ein paar Buchstaben Textverlust führte. Generell ist fol. 141v in schlechterem Zustand, was stark verblasste und unleserliche Stellen zur Folge hat.
Zu den Federproben, nach Mordek "kleinere Gebete", vgl. auch de Meyier 1975 S. 262-263. Am Ende von BK 134 c. 2 (fol. 141r) steht - stark verblasst - eine Invokation (In nomine dni. [...]), die weder Mordek noch der Katalog erwähnen.